Winterreise
Ballett von Christian Spuck
Musik von Hans Zender (1936-2019)
Schuberts «Winterreise». Eine komponierte Interpretation
Dauer 1 Std. 40 Min. Keine Pause.
Partnerin Ballett Zürich
Vergangene Termine
Oktober 2018
13
Okt19.00
Winterreise - als Live-Stream verfügbar
Als Live-Stream verfügbar, Uraufführung, Premieren-Abo A
November 2018
Dezember 2018
Gut zu wissen
Winterreise
Kurzgefasst
Winterreise
Franz Schuberts Winterreise, ein Zyklus aus 24 Liedern für Singstimme und Klavier auf Gedichte von Wilhelm Müller, ist im Herbst 1827, ein Jahr vor Schuberts Tod, entstanden. Der Zyklus gilt nicht nur als Höhepunkt in Schuberts Liedschaffen, sondern als Gipfel des deutschen Kunstlieds überhaupt. In 24 Momentaufnahmen fächert Schubert kaleidoskopartig die Stimmungslage eines verlorenen, verletzten und vereinsamten Charakters auf. Nur wenige Kunstwerke haben das Existentielle, das Zerrissene des Menschseins so erschütternd zum Ausdruck gebracht.
Der deutsche Komponist Hans Zender bearbeitete den Zyklus unter dem Titel: Schuberts Winterreise – eine komponierte Interpretation. Zenders Fassung für Tenor und kleines Orchester, die 1993 in Frankfurt uraufgeführt wurde, ist weit mehr als eine einfache Orchestrierung. Ebenso einfühlsam wie radikal legt sie das Verstörungspotential des Zyklus frei und nähert sich den Gedichten Wilhelm Müllers noch einmal auf eigene Weise. Zender stösst in die dunkelsten Regionen des Menschseins vor. Mit seiner Interpretation fördert er Emotionen zu Tage, die bei Schubert unter der Oberfläche pulsieren, und deckt die unheimlichen Schichten in der Tiefe der Musik auf.
Ähnlich wie Hans Zender geht es Christian Spuck in seiner Inszenierung weniger darum, die äusserlichen Stationen des Reisenden zu bebildern, als sich vielmehr in ausgreifender Abstraktion mit dem Zyklus auseinanderzusetzen. In einer Mischung aus grossen Ensembleszenen und einer Vielzahl intimer Solobilder unternimmt Christian Spuck eine Reise ins Innere des Menschen. Dabei erkundet er so zeitlose Themen wie Liebe, Sehnsucht, Entfremdung und Verlassenheit und ermöglicht mit den Mitteln des Tanzes eine neue Perspektive auf eines der grossen klassischen Meisterwerke. Mit dem Schweizer Tenor Mauro Peter steht einer der profiliertesten Schubert-Interpreten unserer Tage auf der Bühne. Die musikalische Leitung hat der italienisch-argentinische Dirigent Emilio Pomàrico, ein Spezialist für neue Musik.
Gespräch
Auf der Suche nach dem Unmittelbaren
Franz Schuberts Liederzyklus sei wie begraben unter unzähligen Interpretationen, sagt Christian Spuck. Mit den Mitteln des Tanzes, einem abstrakten Bühnenraum und Hans Zenders Rekomposition der «Winterreise» will er sie hinter sich lassen. Ein Gespräch vor der Premiere 2018.
Christian, die Winterreise ist ein Kernstück des Liedrepertoires und gilt als einer der wichtigsten Liedzyklen überhaupt. Schubert hat ihn 1827, im vorletzten Jahr seines Lebens, nach Gedichten von Wilhelm Müller komponiert. Erinnerst du dich an deine erste Begegnung mit diesen 24 Liedern?
Die Winterreise habe ich erstmals als Jugendlicher gehört. Damals haben mich diese Lieder tief bewegt und berührt, wobei mir einige mehr in Erinnerung geblieben sind als andere. Wahrscheinlich waren es jene Lieder, mit denen ich mich damals am meisten identifizieren konnte.
Was sagen dir die Lieder heute?
Als Schubert einigen Freunden die ganze Winterreise vorspielte und selber sang, empfanden sie den Zyklus der starren Todesnähe wegen als eine Reihe «schauerlicher Lieder». Nur der «Lindenbaum» gefiel ihnen. Dieses Schauerliche ist heute nur noch schwer nachzuempfinden. Aber ich kann mir vorstellen, welche Irritation diese Lieder in den biedermeierlichen Hauskonzerten bei Schuberts Zeitgenossen ausgelöst haben müssen. Düsternis und Melancholie in dieser Konzentration waren nur schwer zu ertragen. Auch heute noch berühren mich die Lieder in ihrer Traurigkeit. Heute ist es der am meisten aufgeführte Zyklus des Liedrepertoires und unter dem Ballast unzähliger Interpretationen wie begraben. Wenn wir heute in einen Liederabend mit der Winterreise gehen, begeben wir uns in eine Konzertform, die immer noch stark von den Konventionen des 19. Jahrhunderts geprägt ist. Ich weiss von vornherein: Gleich wohne ich der Aufführung eines Heiligtums bei, und auch meine Empfindungen als Hörer werden von vornherein in eine bestimmte Richtung gelenkt.
Das heisst, du misstraust dem Nimbus, den die Winterreise für viele Musikliebhaber besitzt. Aber ist diese Werk- und Interpretationsgeschichte nicht inzwischen selbst zu einem Teil des Werkes geworden?
Alles, was ich mir an Vorwissen angelesen und erworben habe, steht mir eher im Wege. Ich finde es äusserst schwierig, dass die Rezeptionsgeschichte zur Belastungsprobe für jede neue Sichtweise wird. Bei allem Respekt gegenüber bedeutenden Winterreise-Interpreten wie Dietrich Fischer-Dieskau, Peter Schreier oder Christian Gerhaher sehe ich auch angesichts immer neuer Einspielungen eine gewisse Gefahr, dass die Lieder hinter den Interpreten verschwinden. Es geht nur noch um das, was dieser oder jener Sänger mit dem Zyklus gemacht, welche neuen Akzente er mit seiner Lesart möglicherweise gesetzt hat. Dabei wird der Zyklus selbst zu etwas stilisiert, das für meine Begriffe nur noch wenig mit Schubert zu tun hat. Für unsere Ballettproduktion habe ich mich deshalb bewusst für die «Komponierte Interpretation» von Hans Zender aus dem Jahr 1993 entschieden, die die Erwartungen an die Winterreise unterläuft. Ebenso einfühlsam wie radikal legt sie das Verstörungspotential des Zyklus wieder frei und nähert sich Wilhelm Müllers Gedichten noch einmal auf eigene Weise.
Welches Verhältnis haben die Tänzerinnen und Tänzer zur Winterreise?
Den meisten von ihnen war der Liederzyklus überhaupt kein Begriff. Aber gerade das erweist sich jetzt in den Proben als eine grosse Chance. Ich erlebe es gerade als unglaublich spannend, wie emotional die Tänzerinnen und Tänzer, von denen fast keiner die Winterreise kannte und die des Deutschen zum Grossteil nicht mächtig sind, in ihren Bewegungen auf diese Musik reagieren. Mein Wunsch ist es, der Winterreise vollkommen unmittelbar zu begegnen, ohne jegliche Verpflichtung gegenüber einem vermeintlichen Heiligtum des deutschen Liedgutes. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte bei der ersten Aufführung der Winterreise dabei sein können. Ganz sicher wurde sie nicht so perfekt gesungen und am Klavier begleitet wie in den ungezählten Aufnahmen. Aber ganz sicher hatte sie eine Authentizität, die wir heute nur selten erreichen. Vielleicht wäre ein Sänger wie Tom Waits heute jemand, der dem Werk etwas von seiner Authentizität zurückgeben könnte.
Welche choreografischen Freiräume öffnet dir die Version von Hans Zender?
Manchmal kommt es mir vor, als hätte ich bei Zender mehr über Schubert und das Stück erfahren als aus der hundertsten Version der Originalfassung. Zender durchbricht die Hermetik, von der die Winterreise heute umgeben ist und fördert Emotionen zu Tage, die bei Schubert unter der Oberfläche pulsieren. Er durchdringt die Texte im Sinne «schöpferischer Veränderung» noch einmal völlig neu und deckt die unheimlichen Schichten in der Tiefe von Schuberts Musik auf. Nicht ohne Grund ist Hans Zenders Fassung bereits mehrfach vertanzt worden. Die Durch lässigkeit in seiner Musik schenkt mir die Freiheit, neue choreografische Assoziationsräume für Themen wie Einsamkeit, Kälte und Verlassenheit zu finden. Zender betrachtet Schubert wie durch ein Kaleidoskop. Er zerlegt die Winterreise filigran, ohne sie zu beschädigen. Dadurch gewinnt das Werk an Kraft und ermöglicht mir eine eigene Perspektive.
Die Gedichte von Wilhelm Müller leben ganz wesentlich von ihrer starken Metaphorik. Wie reagierst du in deiner Inszenierung auf diese sprachliche Welt?
Die 24 Lieder sind als eine innere Reise des lyrischen Ichs lesbar, auch wenn sie in den Texten eine konkrete geografische Verortung erfahren. Müllers Gedichte mit ihrer starken Bildhaftigkeit sind meine wichtigste Inspirationsquelle, um eine Bühnenwelt für die Winterreise zu kreieren. Die Wetterfahne, die Krähe, das Irrlicht, der Wegweiser… sie alle finden ihren Niederschlag. Allerdings nicht in einem so engen Sinn, dass beim Lied von der Krähe auch Vögel erscheinen müssten. Schubert und Zender haben alles zu diesen Texten gesagt. Ich kann darauf nur mit einer Art Collage reagieren, indem ich bestimmte Aspekte auswähle, sie gegenüberstelle, verbinde und verwische. Was mir vorschwebt ist ein riesengrosses Tableau – ein Panorama, das dem Zuschauer erlaubt, in diese Winterreise-Welt einzutauchen und dabei diese Texte neu zu erfahren. Dabei versuche ich, alles Illustrative, aber auch jede Art von Narration zu vermeiden.
Wie ist der Sänger in deine Inszenierung integriert?
Der Sänger wird bei mir nicht als Darsteller eines Wanderers auf der Bühne agieren. Er ist Teil der Musik, die er überwiegend aus dem Graben, im engen Kontakt zum Dirigenten und den Instrumentalisten, interpretieren wird. Eine Besonderheit der Winterreise liegt ja darin, dass die eigentliche Handlung in eine nicht erzählte Vorgeschichte verlegt wird. Wir können nur ahnen, was zwischen dem Wanderer und seiner Angebeteten vorgefallen ist. In den Liedern selbst erleben wir ihn nur in seiner Enttäuschung – in 24-facher Brechung ihrer Facetten. Der melancholischen Selbstbemitleidung des Wanderers, seinem Baden im seelischen Schmerz, gilt es, etwas entgegenzusetzen. Ich habe mich allerdings gegen die Verdopplung des Sängers durch einen Tänzer entschieden. Wer ist der Sänger in der Winterreise? Das muss man sich wirklich klar machen, denn seine Anwesenheit birgt die Gefahr, dass er automatisch zum Mittelpunkt einer Aufführung wird. Schliesslich vermittelt er den Inhalt der Texte, er steht im Zentrum der Komposition. In einer solchen Konstellation läuft man Gefahr, dass der Tanz nur noch in Form einer illustrativen Bebilderung wahrgenommen wird und keine eigenständige Kraft entwickeln kann. Deshalb ist es wichtig, eine Balance zwischen Musik und Tanz zu finden und das lyrische Ich in den Texten von der Person des Sängers zu trennen. Er soll also nicht den leidenden Wanderer mimen, sondern gleichberechtigt neben die Tänzer und Instrumentalisten treten und die Lieder in ihrer vielgestaltigen Emotionalität vermitteln, ohne das im Text Gesagte durch Mitleiden zu verdoppeln.
Mauro Peter wird die Winterreise singen. Er gehört zu einer neuen Generation von Liedinterpreten und hat den Liedzyklus in vielen Konzertsälen aufgeführt. Wie schwörst du ihn auf deine Sicht der Winterreise ein?
Ich bin sehr glücklich über diese Zusammenarbeit und habe schon jetzt höchsten Respekt, weil Mauro Peter die überaus anspruchsvolle Version von Hans Zender auswendig singen wird. Zum Glück ist er ja nicht nur ein Liedsänger. Ich habe ihn auch in vielen Opernaufführungen als sehr wandlungsfähigen Künstler erlebt, der sich sehr schnell auf die unterschiedlichsten szenischen Situationen einstellen kann. Unsere gemeinsamen Proben haben zwar noch nicht begonnen, aber mir ist wichtig, dass er nicht schauspielerisch versucht, die Befindlichkeiten des Wanderers darzustellen, sondern sich – einfach gesagt – auf seine Stimme fokussiert und diese Lieder singt. Bei unserer Inszenierung von Verdis Messa da Requiem war das vor zwei Jahren ein ähnlicher Arbeitsprozess. Vier Solisten musste ich damals davon überzeugen, nichts zu spielen, sondern einfach nur sie selbst zu sein und sich als Oratoriensänger in ein grosses Tableau mit Tänzern einzufügen. Erst so entstand eine Emotionalität, die unmittelbar zu berühren vermochte. Die erhoffe ich mir jetzt auch von Mauro Peter. Für einige Lieder wird er den Orchestergraben verlassen und sich im Bühnenraum bewegen, allerdings ohne dort eine Figur zu spielen.
Die Winterreise ist kein stringenter emotionaler Fluss: Pulsierende, nervöse Energie steht neben Momenten des Stillstands und der Reflexion: Spannung entsteht aus der Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart, aus dem erneuten Durchleben vergangener Momente, dem Stochern in der psychischen Wunde und dem Versuch, sich in einer feindlichen Umwelt vorwärts zu bewegen. Wie spiegelt sich das in deiner Choreografie?
Beim Erarbeiten des choreografischen Materials versuche ich zunächst, mich vom Kontext der Lieder zu lösen, um einen eigenen Assoziationskosmos zu entwickeln. Sonst klebt man nur am Text. Mein Ziel ist immer, über das Narrative und die Illustration hinauszugehen. Nur so lassen sich neue Bedeutungsschichten erschliessen, und erst dann wird eine neue Perspektive auf das Werk möglich.
Dein Weg der Annäherung an das Stück führt also erstmal von ihm weg?
Er muss wegführen! Auch Hans Zender entfernt sich in seiner «Komponierten Interpretation» erst einmal von Schuberts Vorlage. Seiner Bearbeitung des Ein gangslieds Gute Nacht stellt er zum Beispiel eine neu komponierte Einleitung voran, in der sich die Schritte des Wanderers aus dem Nichts zu schälen scheinen. Je mehr der Zyklus fortschreitet, desto weniger scheut er sich dann aber, das Romantische ganz gross zu machen. Die Bläserklänge scheinen direkt aus den Sinfonien Gustav Mahlers übernommen zu sein. An diesen Stellen habe ich immer das Gefühl, dass die Choreografie sich fast bis zum Stillstand reduzieren muss. Einen starken musikalischen Akzent muss ich nicht mit einer grossen Hebung verdoppeln, sondern kann ihm durch eine kleine Geste eine viel grössere Wirkung verleihen. So können Musik und Choreografie nebeneinander bestehen und sich kommentieren.
Welche Wünsche hattest du an Bühnenbildner Rufus Didwiszus und die Kostümbildnerin Emma Ryott? Wo ist unsere Winterreise verortet?
Bühnenbild und Kostüme sind in einem langen Findungsprozess entstanden, der fast zwei Jahre gedauert hat. Mir war relativ schnell klar, dass unsere Winterreise weder in einer Schneelandschaft, noch in einem konkreten Innenraum spielen kann. Um der Fülle von persönlichen Aussagen in Müllers Texten zu begegnen, erschien mir ein abstrakter Raum am geeignetsten. Der Raum, den Rufus Didwiszus entworfen hat, scheint in seiner Helligkeit und Detailklarheit auf den ersten Blick gar nicht so sehr für den Tanz geeignet zu sein. Doch je länger man hineinschaut, desto mehr spürt man die Kälte, die ihm innewohnt und kann die Winterlandschaft wahrnehmen, von der der Sänger in der Winterreise singt. Der Raum atmet eine grosse Theatralik und vermag es, die Tänzer auf perfekte Weise mit dem Instrumentalensemble zu verbinden. Die Musiker sind nie anonyme Klangkulisse, sondern jederzeit als gleichwertige Protagonisten der Aufführung sichtbar. Auch Emma Ryotts Kostüme verzichten auf eine Wintermetaphorik. Wollmützen und Handschuhe wird man also vergeblich suchen. Gleichwohl gibt es immer wieder Referenzen an das Wandern, z.B. in den schweren Schuhen, die die Tänzer tragen. In einigen Liedern nimmt die Choreografie das Wandern in einer abstrahierten Schritt-nach-vorn-Bewegung auf, die als Leitmotiv erkennbar bleibt und in den verschiedensten Umsetzungen auftaucht. Im Team haben wir immer wieder gemeinsam nach Abstraktionen gesucht, die die Wertigkeit von Text und Musik unterstreichen und über eine einfache Bebilderung hinausgehen.
Der Tod ist in den Texten der Winterreise in vielerlei Gestalt präsent. Wie gegenwärtig ist er in deiner Produktion?
Ganz sicher nicht in Gestalt des Sensenmanns, sondern vor allem durch die choreografische Sprache und die Bildwelt, die im Bühnenbild verankert ist. Bezeichnenderweise kommt das Wort «Tod» in den Gedichten Wilhelm Müllers überhaupt nicht vor. Ganz in diesem Sinne ist die Todessymbolik in unserer Produktion eher versteckt und wird sich möglicherweise erst beim wiederholten Hinsehen erschliessen. Mich interessiert mehr die Spannung zwischen den beiden Polen: der Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit auf der einen Seite und der Kraft des Todes, die den Wanderer unerbittlich in seine Richtung zieht.
Warum hast du dich entschieden, die Winterreise ausdrücklich als Choreografie für die gesamte Compagnie anzulegen?
Bei meiner Fassung der Winterreise habe ich versucht, der Intimität dieses Werkes gerecht zu werden. Die Form eines Soloabends, die ja durchaus denkbar wäre, greift da für mich aber zu kurz. Wenn der Sänger von Einsamkeit singt und ich das mit minimalen Gesten von 36 Tänzern darstellen kann, gewinnt das eine viel grössere Kraft, als wenn er in diesem Moment lediglich von einem Tänzer gedoubelt wird. Ich stelle mir unentwegt die Fragen nach dem Zuviel oder Zuwenig. Das ist ein ständiges Ausprobieren und ein Suchprozess, mit dem man nie fertig wird.
Als Choreograf stehst du vor der Aufgabe, für möglichst alle Tänzer anspruchs-volle Herausforderungen zu finden. Andererseits hast du bei jedem Lied eine Vorstellung von der tänzerischen Besetzung, die nur zum Teil nach grossen Gruppenszenen verlangt. Wie lässt sich da eine Balance herstellen?
Als choreografierender Direktor sehe ich mich meinen Tänzern gegenüber in der Pflicht. Ich spüre in jeder Probe ihre Neugier und ihren Hunger nach neuen Aufgaben. Die Struktur der Winterreise mit ihren 24 Liedern und die abstrakte Form der Choreografie geben mir die Möglichkeit, in der Besetzung jedes einzelnen Liedes sehr variabel zu sein. Zwischen Solo, Pas de deux und Ensemble gibt es zum Glück noch genügend weitere Kombinationsmöglichkeiten. Schon seit Beginn unserer Proben habe ich seitens der Tänzer eine grosse Unterstützung und ein Streben nach Perfektion erlebt, das mich sehr beeindruckt hat. Sie sind unglaublich schnell, wenn es um das Finden von Synchronität geht. Jede gewünschte Geste wird sofort auf ihre Umsetzungsmöglichkeiten hin befragt. Für mich ist das sehr inspirierend.
Du hast von der Unvoreingenommenheit der Tänzer in Sachen Winterreise gesprochen. Wie wünschenswert ist es, diesen Zustand zu erhalten?
Diese Frage stellt sich in vielen Ballettproduktionen. Heinrich von Kleist hat sie in seinem berühmten Text Über das Marionettentheater thematisiert, wenn er anmerkt, dass ein reflektierendes Bewusstsein Grazie und Anmut eines Tänzers zerstören kann. Wir versuchen da, einen Mittelweg zu finden. Natürlich gibt es bei all unseren Produktionen ein Konzeptionsgespräch, in dem das künstlerische Team über Inhalt und Umsetzung des jeweiligen Projekts informiert. So natürlich auch bei der Winterreise. In den Proben sind die Liedtexte nicht nur im Original, sondern auch in englischer Übersetzung greifbar. Oft muss man Begrifflichkeiten klären, die uns heute nicht mehr geläufig sind. Aber oft reicht auch ein einziges Wort, mit dem sich sofort eine Stimmung assoziiert. Es ist ein Vorteil, dass die Tänzer nicht mit diesem Rucksack von Rezeptionsgeschichte in die Proben kommen. Sie arbeiten sehr musikalisch und finden intuitiv zum richtigen Ausdruck. Gerade beim Finden des choreografischen Materials wählen sie oft eine völlig andere Musikalität, als ich sie erwartet hätte. Oft ist sie geschickter und besser als meine eigene, weil sie eben anders zuhören und dem Stück völlig unvoreingenommen gegenübertreten.
Hast du ein Lieblingslied in der Winterreise?
Na klar! Aber das zu verraten, wäre unfair gegenüber den 23 anderen Liedern. Vielleicht sieht man es ja!
Das Gespräch führte Michael Küster.
Foto von Jos Schmid.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 62, Oktober 2018.
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Herzlichen Glückwunsch!
Ballettdirektor Christian Spuck erhält für sein Ballett «Winterreise» den Prix Benois de la Danse 2019, einer der bedeutendsten Tanzpreise überhaupt. Ein grosser Dank geht an alle Beteiligten.
Pressestimmen
«Fraglos, selbst enormsten künstlerischen Widrigkeiten trotzt das Ballett Zürich und steht auf dem Zenit seines Könnens.»
Tanznetz vom 17. Februar 2021«Faszinierend, dieses Ballett Zürich! Grossartig die Bilder! Unglaublich symbolstark die Choreografie von Christian Spuck!»
NZZ am Sonntag vom 31. Oktober 2018
«The ballet ensemble, orchestra and accompanying opera tenor integrate beautifully in this theatrical work that reveals new layers of emotion embedded in Schubert’s dark masterpiece.»
Dance Europe, 12/18
Essay
Schauerliche Lieder
Am 13. Oktober 2018 feierte Christian Spucks Ballett auf Franz Schuberts Liederzyklus «Winterreise» in der Version des deutschen Komponisten Hans Zender Premiere. Kathrin Aehnlich, die zeitgleich ein Buch über Grenzgänge veröffentlicht hat, unternimmt eine persönliche Exkursion zu einem der bekanntesten Werke der klassischen Musik.
Immer wenn die Lindenbäume blühen und ihren unverwechselbaren Duft verströmen, werde ich in meine Kindheit zurückversetzt. Unsere Strasse war gesäumt von Linden, und da wir im zweiten Stock wohnten, sahen wir direkt in die Baumkronen. An lauen Abenden öffnete meine Mutter alle Fenster «sperrangelweit», wie sie es nannte, und plötzlich war alles grenzenlos. Gehüllt in den Blütenduft, lehnten wir am offenen Fenster, und meine Mutter, die zwar Musik liebte, aber nicht besonders gut singen konnte, liess es sich nicht nehmen, das dazugehörige Lied zu singen: «Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum». Ich hatte Angst, dass uns die Nachbarn hören könnten, aber sie sang es mit einer solchen Inbrunst, dass es mich dennoch beeindruckte. Und ich überlegte, was ich in den Lindenbaum vor unserer Haustür schnitzen sollte, wenn ich, dessen war ich mir sicher, einmal davongehen würde?
Warum berührt uns dieses Lied, das wir von Generation zu Generation weitergeben, das wir singen können, ohne jemals den Text bewusst gelernt zu haben? Es gibt Lieder, von denen kaum jemand weiss, woher sie eigentlich kommen, wer sie geschrieben hat. Und selbst wenn wir den Namen des Textdichters hören – Wilhelm Müller – können wir meist nur ahnungslos mit den Schultern zucken. Wer war dieser Mann, von dem Gustav Schwab schreibt: «Seine Gedichte liessen harmloses Wohlwollen gegen Jedermann, schnelle Begeisterung für Schönes und Gutes, Talent für Geselligkeit und geistreiche Unterhaltung zum Voraus ahnen.»?
Wilhelm Müller wird am 7. Oktober 1794 in Dessau geboren. Seine ersten dichterischen Versuche fallen in sein vierzehntes Lebensjahr. Ob Elegien, Oden, kleine Lieder – Müller dichtet ununterbrochen. Das Herzogtum Anhalt-Dessau ist ein mit Frankreich konföderierter deutscher Kleinstaat. Fürst Leopold Friedrich Franz hat Sinn für Kunst und Wissenschaft. Dennoch tritt Müller nach einem Aufruf des preussischen Königs freiwillig in das Heer der «Feinde» ein und zieht gegen Napoleon in den Krieg. Er schreibt 1813 in seinem Morgenlied am Tage der ersten Schlacht: «Frischauf! Dort steigt der Morgenstern / Ihr Brüder, zieht das Schwert! / Der erste Kampf ist nicht mehr fern / Für Vaterland und Herd.» Wilhelm Müller nimmt an mehreren Schlachten teil, landet schliesslich in Prag und später in Brüssel. Die Brüsseler Sonette, die er dort schreibt, werden erst nach seinem Tod bekannt – sehr ungewöhnlich für den Dichter, der bei allem, was er verfasst, sofort auf Veröffentlichung drängt. In seinen Tagebüchern findet sich als wahrscheinlicher Grund der Hinweis auf eine «Therese» und ein «unerlaubtes Entfernen von der Truppe». Auch gibt es einen Briefwechsel zwischen dem Regimentskommandanten und Müllers Vater. Der Literaturwissenschaftler Bernd Leistner vermutet, «dass Müllers deutsch-keusche Kriegermoral den Reizen eines Mädchens nicht standhielt, dem er sich strikt hätte verweigern sollen». Tatsächlich hätte das Verhältnis zu einer Wallonin in Kriegszeiten militärgerichtliche Folgen haben können. Wilhelm Müller wird von seinem Vater nach Dessau zurückbeordert. Es wurde gemutmasst, dass die Winterreise eine spätere Aufarbeitung der Heimreise von Brüssel nach Dessau ist: Unglück als literarische Triebkraft. Wilhelm Müller kehrt die Situation jedoch um und macht den Wanderer zum Abgewiesenen. Wer beschreibt schon gern die eigene Feigheit?
Die Winterreise erscheint in zwei Teilen. Der erste im Urania Taschenbuch auf das Jahr 1823, der zweite, nach einer teilweisen Veröffentlichung in Zeitschriften, vollständig in den Sieben und siebzig hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten (1824). Müller wünscht sich eine Vertonung: «Ich kann weder spielen noch singen, und wenn ich dichte, so sing ich doch und spiele auch. Wenn ich die Weisen von mir geben könnte, so würden meine Lieder besser gefallen als jetzt. Aber, getrost, es kann sich ja eine gleichgestimmte Seele finden, die die Weise aus den Worten heraus horcht und sie mir zurückgibt.»
Die gleichgestimmte Seele heisst Franz Schubert und ist ein besessener Komponist. 1797 wird er am Wiener Stadtrand in einem Ort mit dem vielversprechenden Namen Himmelpfortgrund geboren. Seine Liedkompositionen habeneine Tür aufgestossen: Die Form findet zu völlig neuer Identität. Differenziert variiert Schubert bei der Vertonung der Texte zwischen Dur und Moll, fügt Vor-, Zwischen- und Nachspiele ein und erreicht so das Weiterführen der Symbole, die in der Lyrik bereits angelegt sind. Text und Musik verschmelzen zu einer Einheit. Und viele Musikwissenschaftler sprechen von einer «Seelenverwandtschaft». Die Winterreise entsteht 1827 in zwei Abschnitten. Im Februar vertont Franz Schubert den ersten Teil der Gedichte, und als er merkt, dass Müller seinen Zyklus erweitert hat, setzt er sich im Herbst an die noch fehlenden zwölf Liedtexte. Er verändert Müllers Reihenfolge, die einer linearen Dramaturgie folgt und erreicht durch Rückblenden ein Innehalten beim Zuhörer. Was uns heute kaum noch bewusst ist: Schubert komponiert für seine Zeit höchst modern. Bisher war die musikalische Begleitung hinter den Text zurückgetreten, Schubert dagegen behandelt beide gleichwertig.
Nach Fertigstellung der Lieder lädt Franz Schubert einige Freunde zu sich ein, um ihnen einige «schauerliche Lieder» vorzusingen, die sie in ihrer Düsternis und Melancholie nachhaltig irritieren werden. Das Publikum ist verunsichert angesichts des geheimnisumwobenen Wanderers, der auf seinem Weg durch den Schnee ausser seinem Liebesschmerz nur wenig von seiner Persönlichkeit preisgibt. Die Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung moniert am 7. Oktober 1829: «Ein eigentlicher Liedcomponist» sei Schubert nicht, der Klavierpart sei «zuweilen ohne Grund und Wirkung erschwert und die Modulation grell gemacht worden.» Auch die Texte Wilhelm Müllers werden als «oft zu prosaisch und unmusikalisch» bemängelt. Trotz aller Kritik steht Schubert fest zu seinem Werk.
Mich selbst hat die Winterreise jahrelang begleitet. Direkt unter meinem Zimmer probte ein Opernsänger, und wenn er sich einsang, konnte ich ohne Eintrittskarte teilhaben. An Nachmittagen war das durchaus eine Bereicherung, aber da die Winterreise gern als Matinee an Sonntagvormittagen gebucht wurde, weckten mich seine Stimmübungen. Anfangs ärgerte es mich, aber dann lag ich ganz still und hörte auf den Gesang, der durch das hellhörige Haus drang: «Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus». Noch heute ist mir der Rhythmus der Lieder in Erinnerung, dieses unentwegte Voranschreiten in der Musik.
Jede Zeit hat ihren Klang. Bei archäologischen Ausgrabungen sehen wir Schicht über Schicht liegen. So ist es auch bei Hans Zender: Das Neue überdeckt das Alte. Der Komponist, Jahrgang 1936, schreibt in den Notizen zu seiner Bearbeitung der Winterreise: «Ich habe ein halbes Leben damit verbracht, möglichst textgetreue Interpretationen anzustreben – insbesondere von Schuberts Werken, die ich tief liebe –, um doch heute mir ein gestehen zu müssen: es gibt keine originalgetreue Interpretation.»
Die Frage ist, ob man sich dem «heiligen Original überhaupt nähern kann? Zwischen Schuberts Original und unserer Zeit liegen über zwei Jahrhunderte. Der Klang unserer Konzertsäle hat sich verändert, auch die Instrumente gleichen nicht mehr denen aus Schuberts Zeiten. Und vor allem haben sich unsere Hörgewohnheiten angepasst. Wir sind gestählt durch Rockmusik und Freejazz, und Schuberts Lieder, die bei der Veröffentlichung so modern waren, dass sie mit Skepsis be-trachtet wurden, erscheinen uns heute beinahe lieblich.
Es erinnert mich an ein Kinderspiel. Ich nahm ein Geldstück, legte Papier darauf und rieb mit der Bleistiftspitze solange darüber, bis sich eine Kopie des Geldstücks abzeichnete. Ich schnitt es aus und war enttäuscht, als sich herausstellte, dass ich damit nicht bezahlen konnte.
Hans Zender hat die «Münze» eingeschmolzen und neu geprägt. Er nennt es Eine komponierte Interpretation. Die Franzosen haben dafür das Wort lecture , was man, so Hans Zender, mit «individuell-interpretierender Lesart» übersetzen könnte. Seine lecture der Winterreise «sucht nicht nach einer neuen expressiven Deutung, sondern macht systematisch von den Freiheiten Gebrauch, welche alle Interpreten sich normalerweise auf intuitive Weise zubilligen: Dehnung bzw. Raffung des Tempos, Transposition in andere Tonarten, Herausarbeiten charakteristischer farblicher Nuancen.»
Zender behandelt das Original mit grossem Respekt, und dennoch gelingt es ihm, mit seinen Veränderungen, die Winterreise in unsere Zeit zu holen. Wir sollen erleben, was die Zuhörer zu Schuberts Zeiten erlebt haben. Wie bei Schubert, gibt es keine Gefälligkeiten an den Geschmack der Zeit, den sogenannten Mainstream. Hans Zender verwandelt den Klavierklang in «die Vielfarbigkeit eines Orchesters» und übersetzt die Töne der Natur, das Rauschen der Blätter, das Wehen des Windes, das Knurren der Hunde, in Noten. Auch bei Franz Schubert klingen diese Geräusche an, wenn auch noch verhalten. Zender nennt es «Keime», die er weiterentwickelt, die in seiner Komposition zu kräftigen Pflanzen heranwachsen. Bei dem Lied Auf dem Flusse ist man fast geneigt, die Schultern fröstelnd nach oben zu ziehen. Und doch wirkt nichts plakativ und lässt noch genügend Raum für die Fantasie des Zuhörers. Noch mehr als bei Schubert spüre ich die Bewegung, die Rastlosigkeit. Selbst die Musiker wandern durch den Raum. Hans Zender nennt es «die Verschiebung der Klänge im Raum.» Er schreibt: «Für jedes Lied musste im Übrigen eine eigene Lösung gefunden werden, so dass sich die Gesamtheit des Zyklus wohl eher wie eine abenteuerliche Wanderung als wie ein wohldefinierter Spaziergang ausnehmen wird.»
Mit der Winterreise haben Müller und Schubert eine Botschaft hinterlassen, die bis in die heutige Zeit Gültigkeit besitzt und die immer wieder zu neuer künstlerischer Umsetzung anregt. Sie haben starke Bilder geschaffen: Die unüberwindbare Natur weist den Wanderer in seine Schranken, die heissen Tränen verlieren gegen Eis und Schnee, das Gefühl erlischt und geht über in Erstarrung. Metaphern, die sich auf viele Lebenssituationen übertragen lassen. Heutzutage erscheint uns der Wanderer in der Winterreise als Vertriebener, als namenloses Ich im Niemandsland. Wir begegnen ihm täglich in Fussgängerzonen oder auf Bahn hofsvorplätzen. Es sind Menschen, die nirgendwo einen Platz finden in unserer unterkühlten Welt. Und wir selbst? Oft gelingt es uns nicht anzukommen, weil wir nicht schätzen können, was wir haben. Wir irren durch die Natur, von der wir meinen, dass sie sich gegen uns verschworen hat. «Je kleiner unser Planet durch Wissen, Nachricht und Verkehr wird, je weniger zu erkunden, zu entdecken ist, umso mehr wird der Wanderer eine von der Politik aufgerufene und missbrauchte Existenz», schreibt Peter Härtling.
Die beiden Wanderer Wilhelm Müller und Franz Schubert sind sich nie begegnet. Wilhelm Müller starb kurz vor seinem 33. Geburtstag an einem Herzinfarkt, Franz Schubert 31-jährig an den Folgen der Syphilis. Beide erfuhren zu Lebzeiten nichts vom Erfolg der Winterreise. Aber vorausahnend schreibt Gustav Schwab in seinem Nachruf auf Wilhelm Müller: «Uns aber ist dein Lied geblieben, das durch die Brust lebendig bebt.»
Hans Zender nennt die Winterreise eine «Ikone der Musikgeschichte». Für meine Mutter war der Lindenbaum ganz einfach ein Lied, das etwas in ihr berührte, eine Sehnsucht, nach der ich nie zu fragen wagte und für die es vielleicht auch keine Worte gegeben hätte. Von meinem ersten selbstverdienten Geld kaufte ich ihr eine Schallplatte der Winterreise. Gemeinsam hörten wir das Lied vom Lindenbaum, dessen Schönheit ich in dem Gesang meiner Mutter vorher nur ahnen konnte.
Über die Jahrhunderte hinweg ist der Lindenbaum zum Symbol geworden. Ein Ort, an dem jeder seine Ruhe finden oder ein Abschiedswort in die Rinde ritzen kann. Ich musste mich bei meinem Weggang aus meinem Elternhaus für keine Inschrift entscheiden. Die Linden in meiner Strasse waren eines Tages gefällt worden, damit die Autofahrer eine bessere Sicht auf die Verkehrsampel hatten.
Kathrin Aehnlich ist Buchautorin und Redakteurin beim Mitteldeutschen Rundfunk. Ihr neuestes Buch «Grenzgänge. Von Papstbeerdigungen, Kindheitsträumen und unsterblichen Seegurken» ist im Aarauer AT Verlag Edition Zeitblende erschienen.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 62, Oktober 2018.
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Die geniale Stelle
«Muss selbst den Weg mir weisen in dieser Dunkelheit», klagt der durch die winterkalte Welt irrende Wanderer im ersten Gedicht von Wilhelm Müllers Winterreise. Die tieftraurige, zweimal resigniert herabsinkende melodische Linie, in die Franz Schubert diese Worte kleidet, lässt sie zur umfassenden Formel für die Einsamkeit des Helden werden. Hans Zender verändert in seiner «komponierten Interpretation» des Zyklus an dieser Phrase nur einen Takt kaum merklich und verweist damit auf Sinnschichten der Dichtung und der Komposition, die dem Hörer sonst leicht entgehen könnten.
Am ersten Tiefpunkt der Phrase, beim Wort «weisen», erscheint in der Singstimme ein die Struktur des Liedes bestimmendes Motiv, das aus zwei punktierten kleinen Sekundschritten besteht, dem traditionellen Symbol des Seufzers, der Klage. Zender lässt dieses Motiv durch zwei Bratschen und zwei Violinen (mit der Spielanweisung «mezzopiano, espressivo») verdoppeln. Ein auffälliger Farb-Wechsel für einen sehr kurzen Moment: Der eher kühle Bläserklang, der die vorhergehende Passage dominiert, weicht für einen Moment dem warmen Ton der Solostreicher. Indem die Instrumente die Singstimme genau verdoppeln, wird dem Einsamen sozusagen ein Begleiter beige-geben, freilich ein irrealer, nur in der Musik vorhandener. Es ist, als wollte der Komponist ein wenig Trost, ein wenig Wärme spenden – den durch die winterkalte Welt Irrenden für einen Moment in den Arm nehmen. Aber dieser Instrumentationseffekt leistet noch mehr: Der überraschende Wechsel lenkt die Aufmerksamkeit des Hörers auf die Stelle, lässt auch den, der Schuberts Zyklus schon lange und gut kennt, ahnen, dass sich da vielleicht mehr verbirgt, als er bisher wusste: Eine kaum merkliche textliche Verbindung zum zwanzigsten Lied vom Wegweiser, der dem Winterreisenden den einzigen ihm bleibenden Weg weist. Einmal auf diesen Bezug aufmerksam gemacht, entdeckt der Hörer auch eine musikalische Korrespondenz, die möglicherweise nicht zufällig ist: Das klagende, punktierte Motiv des ersten Lieds, taucht leicht verändert auch in diesem viel späteren wieder auf. Mit diesem kleinen, die Struktur verdeutlichenden Effekt verweist Zender also auf weitgespannte inhaltliche und musikalische Zusammenhänge und gibt der Geschichte eine weitere eigene Deutung: Der Weg, den sich der Held selbst weist, ist eben der, den jener Wegweiser anzeigt. Die ganze Reise durch die frostklirrende Welt ist eine in den Tod.
Das Verfahren, das Zender hier anwendet, kann als ein Lehrbeispiel für den «Verfremdungseffekt» gelten, dessen Theorie Bertolt Brecht formuliert hat: Durch die Instrumentation wird die allzu bekannte Stelle sozusagen fremd gemacht, der Hörer nimmt sie ganz neu wahr, die Gewohnheit wird durchbrochen und der Weg zur Entdeckung bisher nicht gekannter Inhalte geöffnet.
Und weil wir gerade bei Brecht sind … Im Zusammenhang mit seiner Bearbeitung der Shakespeare-Tragödie Coriolanus stellt er sich die Frage: «Können wir den Shakespeare ändern?» Seine Antwort ist so knapp wie überzeugend: «Ich denke, wir können den Shakespeare ändern, wenn wir ihn ändern können.» Hans Zender würde diesen Satz, auf Schuberts Winterreise angewandt, wohl unterschreiben. Und schon diese eine Stelle zeigt überzeugend, dass er «es konnte». Denn Zenders Komposition ist weder nur eine sklavische Nachahmung in anderen Farben noch ein trockener Kommentar, sie ist eine sehr originelle Aneignung des Schubertschen Werkes aus dem Blickwinkel des 20. Jahrhunderts, eine Komposition, die dem Vorbild, das sie nicht ersetzen will (und kann), ebenbürtig ist.
Text von Werner Hintze.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 62, Oktober 2018.
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Wie machen Sie das, Herr Bogatu?
Woran denken Sie, wenn Sie das Wort «Quietschen» hören? An Bremsen, Fahrradketten, Räder, Türen, Trams, Entchen und Stadelhofen? Das war bei uns bis vor kurzem auch so, doch jetzt denken wir an Schuhe. An Pirouetten-drehende Winterstiefel auf bedrucktem Tanzboden. Ich hole etwas aus: Am Anfang steht der Wunsch unseres Ballettdirektors Christian Spuck, dass die Tänzer*innen in seiner Choreografie der Winterreise in einigen Szenen auf der Bühne in Winterstiefeln im Schnee tanzen. Da handelsübliche Winterstiefel zu wenig Bewegungsfreiheit für eleganten Tanz bieten, mussten diese Stiefel speziell nach den Bedürfnissen der Tanzenden angefertigt werden. Unsere Schuhmacherin Cleo Krebs und unser Schuhmacher Simon Schäppi wissen genau, wie sowas geht: So muss z.B. der Schuh zwischen Ballen und Ferse ein Maximum an Bewegungsfreiheit haben, er muss passgenau und möglichst leicht sein und weder eine rutschige noch eine besonders haftende Sohle haben. Der Prototyp dieses Schuhs wurde angefertigt, von ausgewählten Tänzern aus-probiert und für gut befunden. Von diesem Prototyp liessen wir in jeder benötigten Grösse zunächst ein Paar fertigen. Unser Ballettensemble probierte die Schuhe an, so dass wir genau wussten, wieviele Schuhe wir von jeder Grösse herstellen lassen mussten. Sobald die knapp 100 Schuhe angefertigt waren, wurden sie in den Ballettprobenraum gebracht, damit sich die Tänzer*innen möglichst frühzeitig an diese gewöhnen konnten. Und das Tanzen ging sehr gut darin – alles gut? Zumindest so lange, bis die ersten Proben nicht mehr im Ballettsaal, sondern auf der Bühne stattfanden. Dort lag ein für das Bühnenbild der Winterreise speziell bedruckter Tanzboden, und die Leder-sohlen der Winterstiefel quietschten fürchterlich auf diesem Untergrund. Simon nahm einen Stiefel und raute die Sohle mit einem Schleifpapier auf, doch das Quietschen wurde dadurch erhöht. Es musste weiter geforscht werden, die Schuhmacherei wurde zum Labor: Eine originale Bodenplatte wurde angeliefert und es folgten Versuche mit Talkum und Wachs, es wurde geschliffen und poliert. Simon testete jeweils den bearbeiteten Stiefel und drehte zur Freude von Cleo Pirouetten auf der Bodenplatte in der Werkstatt. Ergebnis: Eine mit Wachs behandelte und der Poliermaschine bearbeitete Sohle macht keine Geräusche mehr! Die Zeit lief allerdings davon: Zur grossen Durchlaufprobe am nächsten Tag mussten alle Stiefel wieder bereit sein. Das schafften die beiden, und die Tanzenden betraten mit diesen Stiefeln die Bühne. Lautlos, aber leider: zu rutschig. Die Tänzer*innen behalfen sich damit, die Sohlen schnell mit Kolophonium (besteht aus Baumharz) zu behandeln, wodurch sie mehr Haftung bekamen. Und natürlich: wieder quietschten. Die Probe war ein akustisches Desaster und die Ratlosigkeit wuchs. Der Durchbruch gelang erst der Kostümbildnerin Emma Ryott: Sie nahm sich nach der Probe ein Schleifpapier und schliff bei einem Stiefel die Sohle vorsichtig etwas rauer, so dass der Schuh wieder ausreichend Haftung bekam. Dann rundete sie die scharf geschnittene Ledersohlenkante ab. Und siehe da: Der Tänzer probierte das aus, der Stiefel rutschte nicht und quietschte nicht mehr. Cleo und Simon bearbeiteten alle Stiefel bis in den späten Abend hinein. Am nächsten Probentag gab es nur noch einzelne, aber vertretbare Quietscher. Ein fast voller Erfolg! Das Problem ist nur, dass die Tänzer*innen gerne mit dem Kolophonium die Reibung ihrer Schuhe für sich selbst einstellen möchten und dass das lautlos nicht möglich ist. Dafür haben wir keine Lösung gefunden und sind bei jeder Probe auf der Gratwanderung zwischen der Gefahr des Ausrutschens und des zu lauten Quietschens. Falls Sie im oberen Teil meines Textes über das Wort «Schnee» gestolpert sind: Es handelt sich natürlich um Schneeflocken aus Papier. Auf diesen rutschen die Tanzenden übrigens erstaunlicherweise nicht aus und: Sie quietschen nicht.
Text von Sebastian Bogatu.
Illustration von Anita Allemann.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 63, Oktober 2018.
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Hinter dem Vorhang: «Winterreise» mit Tenor Mauro Peter
Der aus Luzern stammende Tenor Mauro Peter gehört zu den gefragtesten Liedinterpreten seiner Generation. Wir haben mit ihm über Hans Zenders Interpretation der Schubert'schen «Winterreise» und die Besonderheiten der gemeinsamen Aufführung dieses Werks zusammen mit dem Ballett Zürich gesprochen.
Biografien
Christian Spuck, Choreografie
Christian Spuck
Christian Spuck stammt aus Marburg und wurde an der John Cranko Schule in Stuttgart ausgebildet. Seine tänzerische Laufbahn begann er in Jan Lauwers’ Needcompany und Anne Teresa de Keersmaekers Ensemble «Rosas». 1995 wurde er Mitglied des Stuttgarter Balletts und war von 2001 bis 2012 Hauschoreograf der Compagnie. In Stuttgart kreierte er fünfzehn Uraufführungen, darunter die Handlungsballette Lulu. Eine Monstretragödie nach Frank Wedekind, Der Sandmann und Das Fräulein von S. nach E.T.A. Hoffmann. Darüber hinaus hat Christian Spuck mit zahlreichen namhaften Ballettcompagnien in Europa und den USA gearbeitet. Für das Königliche Ballett Flandern entstand 2006 The Return of Ulysses, beim Norwegischen Nationalballett Oslo wurde Woyzeck nach Georg Büchner uraufgeführt. Das Ballett Die Kinder beim Aalto Ballett Essen wurde für den «Prix Benois de la Danse» nominiert, das ebenfalls in Essen uraufgeführte Ballett Leonce und Lena nach Georg Büchner wurde von den Grands Ballets Canadiens de Montréal, dem Charlotte Ballet, USA, dem Tschechischen Nationalballett Prag und vom Stuttgarter Ballett übernommen. Die Uraufführung von Poppea//Poppea für Gauthier Dance am Theaterhaus Stuttgart wurde 2010 von der Zeitschrift «Dance Europe» zu den zehn erfolgreichsten Tanzproduktionen weltweit gewählt sowie mit dem deutschen Theaterpreis Der Faust 2011 und dem italienischen «Danza/Danza-Award» ausgezeichnet. Christian Spuck hat auch Opern inszeniert: Auf Glucks Orphée et Euridice an der Staatsoper Stuttgart folgten Verdis Falstaff am Staatstheater Wiesbaden sowie Berlioz’ La Damnation de Faust und Wagners Fliegender Holländer an der Deutschen Oper Berlin. Von 2012 bis 2023 war Christian Spuck Direktor des Balletts Zürich. Hier waren seine Choreografien Romeo und Julia, Leonce und Lena, Woyzeck, Der Sandmann, Messa da Requiem, Nussknacker und Mausekönig, Dornröschen und Monteverdi zu sehen. Das 2014 in Zürich uraufgeführte Ballett Anna Karenina nach Lew Tolstoi wurde in Oslo, am Moskauer Stanislawski-Theater, vom Koreanischen Nationalballett und vom Bayerischen Staatsballett ins Repertoire übernommen. 2018 hatte in Zürich Spucks Ballett Winterreise Premiere, für das er mit dem «Prix Benois de la Danse 2019» ausgezeichnet wurde. 2019 folgte beim Ballett Zürich Helmut Lachenmanns Das Mädchen mit den Schwefelhölzern (Auszeichnung als «Produktion des Jahres und Kompanie des Jahres für das Ballett Zürich durch die Zeitschrift tanz). Für das Moskauer Bolschoitheater kreierte er 2021 sein Ballett Orlando nach Virginia Woolf. Spucks Messa da Requiem wurde nicht nur zum Adelaide Festival nach Australien eingeladen, sondern auch vom Het Nationale Oper & Ballet Amsterdam und vom Finnischen Nationalballett übernommen. Seit Beginn der Saison 2023/24 ist Christian Spuck Intendant des Staatsballetts Berlin.
Emilio Pomàrico, Musikalische Leitung
Emilio Pomàrico
Der italienische Dirigent und Komponist Emilio Pomàrico wurde in Buenos Aires geboren. Er gilt heute als einer der führenden Interpreten zeitgenössischer Musik. Regelmässig ist er auf renommierten internationalen Festivals sowie in den bedeutendsten Opern- und Konzerthäusern der Welt zu Gast. Von Beginn seiner Dirigentenkarriere an hat er sich unermüdlich für die Werke einer jungen Komponistengeneration eingesetzt. Mit einigen der bedeutendsten Komponisten unserer Zeit sind enge künstlerische Bindungen entstanden, so mit Georges Aperghis, Luciano Berio, Friedrich Cerha, Elliott Carter, Niccolo Castiglioni, Franco Donatoni, Hugues Dufourt, Brian Ferneyhough, Gerard Grisey, Georg Friedrich Haas, Helmut Lachenmann, Luigi Nono, Emmanuel Nunes, Wolfgang Rihm, Salvatore Sciarrino, Iannis Xenakis und Hans Zender. Emilio Pomàrico hat zahlreiche CD-Aufnahmen bei den Labels Neos, Wergo, Kairos und EMC vorgelegt. Kommende Engagements führen ihn u.a. zur Deutschen Radio Philharmonie, zum SWR-Sinfonieorchester, zum WDR-Sinfonieorchester, zum Orchestre Philharmonique de Radio France und zum Gürzenich-Orchester Köln. Weitere Konzerte gibt er mit dem Collegium Novum Zürich, dem Musikfabrik Ensemble, dem Ensemble Resonanz, dem Contrechamps Ensemble und dem Remix Ensemble. Opernproduktionen führen ihn nach Dijon, an die Pariser Opéra Comique und zu den Festivals von Aix-en-Provence und Avignon.
Rufus Didwiszus, Bühnenbild
Rufus Didwiszus
Rufus Didwiszus studierte Bühnen- und Kostümbild in Stuttgart bei Jürgen Rose und arbeitet seither als freier Bühnenbildner in Theater-, Opern- und Tanzproduktionen, u. a. mit Barrie Kosky (La Belle Hélène, Die Perlen der Cleopatra und Anatevka an der Komischen Oper Berlin; La fanciulla del West, Die Gezeichneten und Boris Godunow am Opernhaus Zürich; Orphée aux enfers, Salzburger Festspiele; Fürst Igor, Opéra de Paris; Der Rosenkavalier, Bayerische Staatsoper), Thomas Ostermeier (u.a. Shoppen &Ficken in der Baracke des Deutschen Theaters Berlin mit Einladung zum Berliner Theatertreffen und nach Avignon; Der blaue Vogel am Deutschen Theater, Feuergesicht am Schauspielhaus Hamburg, Der Name bei den Salzburger Festspielen und an der Berliner Schaubühne, The Girl on the Sofa beim Edinburgh International Festival und an der Schaubühne, Vor Sonnenaufgang an den Münchner Kammerspielen), Sasha Waltz, Tom Kühnel, Christian Stückl, Stefan Larsson, Tomas Alfredson und Christian Lollike. Seit 2004 entwirft und inszeniert Rufus Didwiszus mit Joanna Dudley eigene Musik-Theater-Performances, u. a. in den Sophiensaelen, an der Schaubühne und im Radialsystem in Berlin sowie im BOZAR in Brüssel. Mit seiner Band «Friedrichs» war er in Der weisse Wolf am Staatstheater Stuttgart zu sehen. Zudem war er als Gastdozent an der Akademie der Bildenden Künste München und an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee tätig. Für Christian Spuck entstanden die Bühnenbilder zu Der fliegende Holländer an der Deutschen Oper Berlin, Nussknacker und Mausekönig, Winterreise, Das Mädchen mit den Schwefelhölzern, Dornröschen und Monteverdi beim Ballett Zürich sowie Orlando am Moskauer Bolschoitheater.
Emma Ryott, Kostüme
Emma Ryott
Emma Ryott stammt aus England und ist international als Kostüm- und Bühnenbildnerin tätig. Bereits seit 2003 arbeitet sie mit Christian Spuck in den Bereichen Ballett und Oper zusammen. Gemeinsame Ballettprojekte waren Das Mädchen mit den Schwefelhölzern, Winterreise, Messa da Requiem, Anna Karenina und Romeo und Julia in Zürich, Lulu. Eine Monstretragödie und Das Fräulein von S. in Stuttgart, Woyzeck in Oslo und Zürich, Leonce und Lena in Montréal, Stuttgart, Zürich und Prag, Der Sandmann in Stuttgart und Zürich sowie The Return of Ulysses in Antwerpen. In der Oper arbeiteten sie bei Der fliegende Holländer und La Damnation de Faust an der Deutschen Oper Berlin, Falstaff in Wiesbaden und Orfeo ed Euridice in Stuttgart zusammen. Weitere Opernproduktionen waren Mathis der Maler am Theater an der Wien, Manon Lescaut an der English National Opera, Otello bei den Salzburger Festspielen, La Damnation de Faust und The Great Gatsby an der Semperoper Dresden, Marco Polo an der Oper Guanghzou, Das Rheingold und Die Walküre beim Longborough Festival sowie La bohème beim Copenhagen Opera Festival. Im Schauspiel entwarf Emma Ryott die Kostüme für The Heart of Robin Hood bei der Royal Shakespeare Company und Toronto (Auszeichnung mit dem Elliot Norton Award), für Tom Stoppards Rock’n Roll im Londoner West End und am Broadway sowie eine Tschechow-Trilogie (Regie: Jonathan Kent) am National Theatre in London. Für das weltweit vom ORF übertragene Neujahrskonzert 2020 der Wiener Philharmoniker gestaltete Emma Ryott die Kostüme für das Ballett. Weitere Ballettprojekte waren Cinderella beim Finnish National Ballet sowie Christian Spucks Orlando und Yuri Possokhovs Die Möwe am Moskauer Bolschoitheater.
Martin Gebhardt, Lichtgestaltung
Martin Gebhardt
Martin Gebhardt war Lichtgestalter und Beleuchtungsmeister bei John Neumeiers Hamburg Ballett. Ab 2002 arbeitete er mit Heinz Spoerli und dem Ballett Zürich zusammen. Ballettproduktionen der beiden Compagnien führten ihn an renommierte Theater in Europa, Asien und Amerika. Am Opernhaus Zürich schuf er das Lichtdesign für Inszenierungen von Jürgen Flimm, Grischa Asagaroff, Matthias Hartmann, David Pountney, Moshe Leiser/Patrice Caurier, Damiano Michieletto und Achim Freyer. Bei den Salzburger Festspielen kreierte er die Lichtgestaltung für La bohème und eine Neufassung von Spoerlis Der Tod und das Mädchen. Seit der Spielzeit 2012/13 ist Martin Gebhardt Leiter der Beleuchtung am Opernhaus Zürich. Eine enge Zusammenarbeit verbindet ihn heute mit dem Choreografen Christian Spuck (u. a. Winterreise, Nussknacker und Mausekönig, Messa da Requiem, Anna Karenina, Woyzeck, Der Sandmann, Leonce und Lena, Das Mädchen mit den Schwefelhölzern, Dornröschen). Er war ausserdem Lichtdesigner für die Choreografen Edward Clug (u.a. Strings, Le Sacre du printemps und Faust in Zürich; Petruschka am Moskauer Bolschoitheater), Alexei Ratmansky, Wayne McGregor, Marco Goecke und Douglas Lee. Mit Christoph Marthaler und Anna Viebrock arbeitete er beim Händel-Abend Sale, Rossinis Il viaggio a Reims und Glucks Orfeo ed Euridice in Zürich sowie bei Lulu an der Hamburgischen Staatsoper. 2020 gestaltete er das Licht an der Oper Genf für Les Huguenots in der Regie von Jossi Wieler und Sergio Morabito. 2021 folgte Christian Spucks Orlando am Moskauer Bolschoitheater und 2022 Don Giovanni am New National Theatre Toyko.
Thomas Erlank, Tenor
Thomas Erlank
Thomas Erlank stammt aus Südafrika. Er studierte Musik an der Universität von Stellenbosch (Südafrika) und Gesang am Royal College of Music in London bei Patricia Bardon. 2011 gab er sein Debüt als Solist in Steve van der Merwes Eleven – A Requiem for a Parent in der St. George’s Cathedral in Kapstadt. Zu seinem Repertoire gehören u.a. Rollen wie Aeneas (Dido und Aeneas), Dr. Blind (Die Fledermaus), Acis (Acis und Galatea) und Il Podestà (La finta giardiniera). Beim Händel Festival in London sang er Lurcanio in Händels Ariodante. 2015 wirkte er in David Morins Dokumentarfilm Finding Messiah mit. Mit Werken von Mozart, Haydn und Händel war er u.a. in St. Martin-in-the-Fields, in der Cadogan Hall und beim Brighton Fringe Festival zu erleben. Von 2018 bis 2020 war er Mitglied des Internationalen Opernstudios und sang hier 2018/19 den Tenorpart in der Ballettproduktion Winterreise von Christian Spuck, Borsa in Rigoletto, Ambrogio in der IOS-Produktion Il barbiere di Siviglia am Theater Winterthur sowie den Conférencier in der Uraufführung Last Call von Michael Pelzel. In der Spielzeit 2019/2020 war er in Belshazzar, in der Zauberflöte und in Fidelio zu hören. Seit der Spielzeit 2020/21 gehört er zum Ensemble des Opernhauses Zürich und sang jüngst in Idomeneo, L’incoronazione di Poppea, Die Odyssee, Dialogues des Carmélites, L’Olimpiade, Tristan und Isolde sowie in La traviata und Salome. Ausserdem gastierte er im März 2023 als Solist in Mozarts Requiem in der Gulbenkian Foundation Lissabon zusammen mit dem Gulbenkian Orchestra.
Mauro Peter, Tenor
Mauro Peter
Der Tenor Mauro Peter wurde in Luzern geboren und studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in München. 2012 gewann er den ersten Preis und den Publikumspreis beim Internationalen Robert-Schumann-Wettbewerb in Zwickau und gab sein umjubeltes Liederabenddebüt bei der Schubertiade in Schwarzenberg mit Schuberts Die schöne Müllerin. Seither tritt er in führenden Konzert- und Opernhäusern auf der ganzen Welt auf. Mit seinen vielseitigen Liedprogrammen gastierte er im Musikverein Wien, im Wiener Konzerthaus, im Pierre-Boulez-Saal in Berlin, der Kölner Philharmonie, im Münchner Prinzregententheater, in der Hamburger Laeiszhalle, beim Verbier Festival, beim Lucerne Festival, in der Wigmore Hall in London und bei den Salzburger Festspielen. Mit letzteren verbindet Mauro Peter eine langjährige Zusammenarbeit. So hat er dort neben zahlreichen Konzerten und Liederabenden 2016 den Ferrando in Così fan tutte, 2017 den Andres in Bergs Wozzeck sowie 2018 und 2022 den Tamino in der Zauberflöte gesungen. Nach einer Live-Aufnahme von Schuberts Die schöne Müllerin aus der Wigmore Hall erschien 2015 sein Debütalbum für Sony Classical mit einigen Goethe-Vertonungen von Schubert, gefolgt von einer Aufnahme der Dichterliebe und einer Auswahl anderer Schumann-Lieder im Jahr 2016. Jüngst feierte Mauro Peter zwei wichtige Rollendebüts: Im Musikverein für Steiermark sang er erstmals den Eisenstein in einer konzertanten Aufführung von Strauss’ Fledermaus, und mit Concerto Köln den Loge in Wagners Rheingold unter der Leitung von Kent Nagano.