Le nozze di Figaro
Opera buffa in vier Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Libretto von Lorenzo da Ponte
nach der Komödie «La folle Journée ou Le Mariage de Figaro»
von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais
In italienischer Sprache mit deutscher und englischer Übertitelung. Dauer 3 Std. 30 Min. inkl. Pause nach dem 2. Akt nach ca. 1 Std. 40 Min. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.
Gut zu wissen
Die geniale Stelle
Oft sind es Kleinigkeiten, die verraten, was in einem Menschen vorgeht: ein etwas zu schneller Wimpernschlag, ein kaum wahrnehmbares Zucken im Gesicht, ein winziges Zittern der Stimme. Das sind Ereignisse, die einen Blick in die Tiefe der Seele er öffnen. Jeder Mensch kann solch kleine Abweichungen vom Erwarteten, solche Augenblicke der Wahrheit spüren, aber nur wenige können solche Vorgänge beschreiben. Mozart konnte es, wie man in seinen Opernpartituren sehen kann.
Ein besonders schönes Beispiel findet sich im zweiten Finale Le nozze di Figaro. Es ist eine peinliche Situation für den Grafen. Aus dem Ankleidezimmer der Gräfin, das er in blinder Eifersucht hatte aufbrechen wollen, trat zu seiner Überraschung nicht Cherubino, sondern Susanna. Die (nicht weniger überraschte) Gräfin kann für den Augenblick aufatmen. Der Graf bittet sie um Verzeihung für seinen Wutausbruch, was sie strikt verweigert. Dreimal fleht er: «Schau mich an!» Sie aber bleibt bei ihrer Weigerung und antwortet nur: «Undankbarer!». Musikalisch ist dieser kurze Wortwechsel ein Pendeln zwischen dem Dominantseptakkord, der dem Grafen zugeordnet ist und der Tonika B-Dur, zu der die Gräfin hinführt, womit ihre rigorose Ablehnung plastisch zum Ausdruck gebracht ist. Wäre dieses Wechselspiel konsequent durchgeführt, würde also die Gräfin dreimal auf dieselbe Weise auf dieselbe Bitte antworten, wäre zu dieser Stelle nichts weiter zu sagen. Aber es gibt zwei Unstimmigkeiten, die diese kurze Passage zu einem Meisterwerk subtiler Menschendarstellung machen.
Wenn die Gräfin ihrem Mann zum zweiten Mal antwortet, verdunkelt sich der Klang für einen Augenblick auf drastische Weise: Es ist, als würde die Terz des B-Dur-Dreiklangs, den der Hörer erwartet, minimal – um nur einen Halbton – verfehlt, so dass die Harmonie abrupt nach b-Moll wechselt. Auch der Orchesterklang wird um eine Nuance dunkler, indem das Motiv, das die Antworten der Gräfin begleitet, nun nicht mehr von Violinen und Flöte, sondern von Violinen und Fagott gespielt wird. Es ist nur ein einziger Takt, ein winziger Moment der Verunsicherung, danach scheint es weiterzugehen wie bisher, allerdings kommt gleich die zweite Unstimmigkeit: Auf die dritte Bitte des Grafen antwortet die Gräfin nicht mehr, als würde ihr nun die Kraft fehlen, das Spiel fortzusetzen. Dabei schien es doch gerade, als sei die Situation gerettet und die Gräfin würde über ihren cholerischen Mann triumphieren.
Doch die Lage ist erheblich komplizierter, darauf verweist der eine Takt in b-Moll: Dass der Graf sie in seiner Wut der Untreue bezichtigte, hat die Gräfin tiefer getroffen, als sie selbst gedacht hätte. Jeder kennt die Überraschung, wenn eine kleine Veränderung der eigenen Stimme einem selbst verrät, dass man von einem Geschehen stärker in Mitleidenschaft gezogen ist, als man wusste. Und jeder kennt die Hoffnung, dass die anderen das nicht gemerkt haben, weshalb man es dann vorzieht, zunächst zu schweigen. Genau das widerfährt der Gräfin, und Mozart hat diesen Vorgang so präzise in Musik gesetzt, dass wir tief in ihre verwundete Seele blicken können. Auch sie sieht den Abgrund und erkennt wohl, dass hier Irreversibles geschehen ist. Das verschlägt ihr die Sprache.
Für den Bruchteil einer Sekunde enthüllt sich der dunkle Hintergrund, auf dem sich das so unwiderstehlich komische Geschehen zuträgt. Die Komödie, das wusste Mozart sehr genau, ist eine Tragödie, die gerade noch einmal gut ausgeht. So werden Mozarts Komödien zu einem Spiegel des menschlichen Lebens, das eine Folge solcher gerade noch abgewendeten Tragödien ist, die allerdings unauslöschliche Spuren in uns hinterlassen.
Text von Werner Hintze.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 70, Juni 2019.
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Le nozze di Figaro
Synopsis
Le nozze di Figaro
Erster Akt
Anlässlich seiner Hochzeit mit Rosina hatte Graf Almaviva seinen Untergebenen versprochen, künftig auf das Recht der ersten Nacht zu verzichten. Nun bereut er es, da er sich in Susanna, die Kammerzofe seiner Frau, verliebt hat, die im Begriff ist, seinen Diener Figaro zu heiraten. Als Susanna am Tag der geplanten Hochzeit von Figaro erfährt, dass der Graf ihnen nach der Hochzeit just jenes Zimmer zur Verfügung zu stellen gedenkt, das zwischen seinem und jenem seiner Frau liegt, klärt sie Figaro über die «Bequemlichkeit» des Zimmers für den Grafen, der ihr beharrlich nachstellt, auf. Figaro ist entschlossen, die Pläne des Grafen zu vereiteln und die Trauung so rasch als möglich zu vollziehen. Ein weiteres Hindernis tut sich auf: Marcellina hat Figaro einst eine grössere Geldsumme geliehen, für die er ihr vertraglich die Ehe zusichern musste, falls er seine Schulden nicht zu rückzahlen kann. Mit Hilfe des Doktor Bartolo möchte Marcellina nun in letzter Minute die Hochzeit Figaros mit Susanna verhindern und ihre älteren Rechte auf ihn geltend machen.
Der junge Cherubino ist in Nöten und sucht Unterstützung bei Susanna. Der Graf hat ihn bei Barbarina, der Tochter des Gärtners, der er selbst nachstellt, erwischt und will ihn vom Schloss verweisen. Susanna soll bei der von Cherubino so sehr verehrten Gräfin ein gutes Wort für ihn einlegen. Überraschend kommt der Graf hinzu und bedrängt Susanna mit seinen Anträgen, während Cherubino sich eben noch verstecken kann. Doch gleich darauf geht auch der Graf in Deckung, da Basilio, ein opportunistischer Intrigant, das Zimmer betritt.
Eine Bemerkung über die Schwärmerei Cherubinos für die Gräfin lockt den Grafen, der sich in seiner Ehre getroffen fühlt, wieder hervor. Die Auseinandersetzung droht zu eskalieren, als er kurz darauf auch Cherubino entdeckt. Da platzt Figaro herein mit einem von ihm organisierten Chor, der dem Grafen für seinen Verzicht auf das ius primae noctis huldigen soll – ein Schachzug Figaros, um den sofortigen Vollzug der Hochzeit zu erzwingen. Unter dem Vorwand, noch nicht ausreichend Vorbereitungen getroffen zu haben, verschiebt der Graf diese auf den Abend. Ausserdem «befördert» er Cherubino, nun unbequemer Mitwisser seines Werbens um Susanna, mit sofortiger Wirkung zum Militär. Figaro aber bittet Cherubino heimlich, sich im Schloss zu verstecken, will er doch mit seiner Hilfe dem Grafen eine Falle stellen, damit diesem die Lust auf Susanna vergeht.
Zweiter Akt
Todunglücklich über die Eskapaden ihres Mannes will die Gräfin mit Susanna und Figaro im Bunde versuchen, ihre gefährdete Ehe zu retten. Figaro präsentiert seinen Plan: Zum einen wird ein Brief den Grafen von einem angeblichen Liebhaber der Gräfin unterrichten, so dass seine Eifersucht ihn bis zum Abend ablenken wird; zum anderen soll Susanna ihm zum Schein ein Rendezvous versprechen, nur soll an ihrer Stelle Cherubino als Mädchen verkleidet zu diesem Treffen gehen. So kann die Gräfin ihn ohne Gefahr für Susanna auf frischer Tat ertappen, und der Graf wird sich der Hochzeit nicht länger widersetzen können. Einverstanden mit Figaros Plan beginnen die Frauen, Cherubino im Zimmer der Gräfin umzukleiden, nachdem sie vorsichtshalber die Aussentür verschlossen haben. Als Susanna für einen Moment in ein Nebenzimmer geht, nutzt Cherubino die Gelegenheit, der Gräfin Andeutungen über seine Gefühle für sie zu machen. Da begehrt der Graf unvermutet Einlass – er hat den fingierten Brief erhalten, seine Eifersucht ist geweckt. Schnell schliesst die Gräfin Cherubino im Kabinett ein, bevor sie ihrem Mann die Tür öffnet. Dieser, zunächst beruhigt, dass er seine Frau alleine im Zimmer antrifft, wird durch ein lautes Geräusch aus dem Kabinett erneut misstrauisch. Überzeugt davon, dass sich dort der Liebhaber verbirgt, verlangt der Graf den Schlüssel zum Kabinett. Als die Gräfin die Herausgabe verweigert, zwingt er sie, ihn zu begleiten, um Werkzeuge zum Aufbrechen der Tür zu holen. Susanna, die während dieser Auseinandersetzung unbemerkt zurückgekommen ist, befreit Cherubino aus seiner misslichen Lage und schliesst sich an seiner Stelle im Kabinett ein, während Cherubino durch einen Sprung aus dem Fenster in den Garten entkommt. Die wilde Entschlossenheit des Grafen, in das Kabinett einzudringen, veranlasst die Gräfin, ihm die Wahrheit zu gestehen. Zutiefst verletzt droht der Graf, Cherubino zu töten. Da tritt Susanna aus dem Kabinett. Die Gräfin ist nicht weniger überrascht als ihr Mann, der sich nun für sein Misstrauen entschuldigen muss. Auf die Frage, was es mit dem Brief auf sich habe, gesteht die Gräfin, dass es sich um einen Scherz von Figaro gehandelt habe, der in diesem Moment mit der Nachricht kommt, die Hochzeitsmusikanten seien eingetroffen. Sein erneuter Überrumpelungsversuch missglückt wiederum, da der Graf ihn in ein strenges Verhör nimmt, aus dem er sich nur mit Mühe herauswinden kann.
Im unpassendsten Moment taucht auch noch der Gärtner Antonio auf und beklagt sich darüber, dass neuerdings Menschen aus den Fenstern fielen und seine Beete zerstörten. Seinen Verdacht, es habe sich um Cherubino gehandelt, entkräftet Figaro, indem er erklärt, er selbst sei aus dem Fenster gesprungen. Erst der Auftritt Marcellinas, Bartolos und Basilios, die eine gerichtliche Entscheidung hinsichtlich des Vertrages zwischen Figaro und Marcellina fordern, setzt den Grafen ein weiteres Mal in die Lage, die Hochzeit aufzuschieben.
Dritter Akt
Die Gräfin ist nunmehr entschlossen, sich selbst in den Kleidern Susannas zum Rendezvous mit dem Grafen zu begeben, um Cherubino aus dem Spiel zu lassen. Auf ihren Wunsch hin überrascht Susanna den Grafen mit dem Geständnis, ihn am Abend treffen zu wollen. Der Graf glaubt sich kurz vor der Erfüllung seiner Wünsche, doch hört er gleich darauf, wie Susanna Figaro versichert, sein Prozess gegen Marcellina sei schon gewonnen. In unbeherrschtem Zorn schwört er Rache und beschliesst, den bevorstehenden Prozess zugunsten Marcellinas zu entscheiden. In dessen Verlauf stellt sich jedoch überraschend heraus, dass Figaro einer früheren Verbindung zwischen Marcellina und Bartolo entstammt. Er wurde als Kind entführt, doch eine Hieroglyphe an seinem Arm enthüllt die familiären Bande. Als Susanna eben hinzu kommt, wie Mutter und Sohn sich in den Armen liegen, glaubt sie sich betrogen, doch schnell kannFigaro sie über die seltsame Wendung der Dinge aufklären. Der Graf, aller legalen Machtmittel nun beraubt, muss in die Hochzeit einwilligen.
Unterdessen hat Barbarina Cherubino mit zu sich genommen, um ihn in Mädchenkleider zu stecken, damit er sich unerkannt im Schloss bewegen kann.
Die Gräfin diktiert Susanna einen Brief, aus dem der Graf den genauen Ort des abendlichen Rendezvous’ erfahren soll. Susanna wird ihm den Brief während der Hochzeitszeremonie zuspielen.
Barbarina überbringt der Gräfin mit einigen Mädchen, unter ihnen der verkleidete Cherubino, einen Blumengruss. Der Graf und Antonio kommen hinzu und enttarnen ihn. Bevor Cherubino vom Grafen für seinen Ungehorsam bestrafen kann, bittet Barbarina ihn, ihr Cherubino zum Mann zu geben. Schliesslich habe der Graf, immer wenn er sie geküsst und umarmt habe, versprochen, ihr jeden Wunsch zu erfüllen.
Noch einmal hat Figaro alles aufgeboten, um mit Susanna vermählt zu werden; der Graf erteilt dem Paar wie auch Marcellina und Bartolo endlich seinen Segen.
Als Susanna ihm während der Zeremonie den Brief mit dem genauen Treffpunkt ihres zum Schein verabredeten Stelldicheins zusteckt, ist es auch der Graf zufrieden. Als Zeichen seines Einverständnisses soll er die Nadel, mit der die Botschaft versiegelt war, an Susanna zurückschicken – ein Dienst, mit dem der Graf Barbarina beauftragt. Für den Abend verspricht er den Anwesenden ein rauschendes Fest.
Vierter Akt
Barbarina hat die Nadel verloren. Bei ihrer verzweifelten Suche danach trifft sie auf Figaro, dem sie vertrauensselig in allen Einzelheiten von ihrem Auftrag berichtet. Auch den Treffpunkt verrät sie ihm. Figaro geht sogleich davon aus, dass Susanna ihm noch am Tag ihrer Eheschliessung Hörner aufsetzen wird. In seiner grossen Wut und Enttäuschung beschliesst er, das Schäferstündchen handgreiflich zu stören, auch wenn Marcellina – in ihrer neuen Rolle als seine Mutter – ihm dazu rät, mit Bedacht vorzugehen. In neu erwachter Frauensolidarität mag sie an Susannas Treue nicht zweifeln.
Figaro hat Basilio und Bartolo an den Ort bestellt, wo er seine Susanna in flagranti mit dem Grafen zu erwischen gedenkt. Basilio zeigt sich gelassen: Nur wer sich ein dickes Fell zulegt, sämtlichen Illusionen abschwört und sich unempfindlich macht gegenüber den Reizen des anderen Geschlechts, wird unangefochten durchs Leben gehen.
Susanna hat von Marcellina erfahren, wessen Figaro sie für fähig hält. Um ihm eine Lehre zu erteilen, spielt sie dem versteckt sie Beobachtenden die ungeduldig ihrem Liebesabenteuer Harrende vor. Dann tauscht sie mit der Gräfin die Kleider, die nun ihren Platz einnimmt. Cherubino – auf der Suche nach Barbarina – glaubt, Susanna vor sich zu haben und bedrängt sie stürmisch. Der Graf befreit die vermeintlich willige Geliebte aus den Armen des flüchtenden Cherubino und umwirbt sie. Figaro, der seine Eifersucht nicht länger mehr bezähmen kann, stört das Paar. Der Graf und die verkleidete Gräfin flüchten in verschiedene Richtungen. Susanna nähert sich Figaro in den Kleidern der Gräfin und gibt vor, sich für die Untreue des Grafen auf gleiche Weise rächen zu wollen. Figaro, der Susanna an der Stimme erkennt, lässt sich auf ihr Spiel ein und gibt vor, die Gräfin heftig zu begehren. Masslos empört ohrfeigt ihn Susanna, doch Figaro klärt sie lachend auf. Gemeinsam spielen sie dem zurückkehrenden Grafen eine Liebesszene vor, der – in der Annahme, Figaro vergreife sich an seiner Frau – ausser sich vor Wut die Gräfin vor aller Augen der Untreue überführen will. Die Bitte um Vergebung der vermeintlichen Gräfin, in die alle Herbeigerufenen einstimmen, schlägt er vehement aus. Erst als sich die echte Gräfin zu erkennen gibt, realisiert der Graf, dass sie seine «Susanna» war. Sie gewährt ihm Verzeihung, dem Fest steht nichts mehr entgegen.