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Aida

Oper in vier Akten von Giuseppe Verdi (1813-1901)
Libretto von Antonio Ghislanzoni

In italienischer Sprache mit deutscher und englischer Übertitelung. Dauer 3 Std. 05 Min. inkl. Pause nach dem 2. Akt nach ca. 1 Std. 15 Min. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.

Gut zu wissen

Trailer «Aida»

Gespräch


Alle wünschen sich weg

«Aida» erzählt von versteinerten politischen Verhältnissen, einer chancenlosen Jugend und dem Fremdsein in der Welt. Ein Gespräch zwischen Regisseurin Tatjana Gürbaca, Bühnenbildner Klaus Grünberg und Dramaturg Claus Spahn vor der Premiere 2014.

Aida spielt in Ägypten. Was hat Giuseppe Verdi an diesem Schauplatz interessiert?
Tatjana Gürbaca:
Er hat seine Stücke oft an abenteuerliche Plätze verlegt. Alleine von Un ballo in maschera gibt es drei Fassungen, und eine davon spielt bei den Eskimos. Verdi sucht sich historische Stoffe und liest sie aus seiner Gegenwart heraus. Auch mit Aida zielte er auf seine eigene Zeit ab und weniger auf ein historisches Ägypten. Es gibt Briefe von ihm, die erkennen lassen, dass er mit der imperialistischen ägyptischen Gesellschaft, die er in der Oper entwirft, das Preussen seiner Zeit meinte, das ihm so verhasst war. Indem Verdi die Opernstoffe in seine Gegenwart übersetzt, verleiht er ihnen überzeitliche Relevanz, und deshalb erzählt Aida aus sich selbst heraus auch wahnsinnig viel über unser Heute. Man schaut sich die gesellschaftlichen Situationen und Gefühls­lagen der Hauptfiguren an und denkt: Ja genau, kenn ich gut.

Die Oper vor Pharaonenpalästen und Pyramiden spielen zu lassen, ist also ein Missverständnis?
Klaus Grünberg:
Für mich ist es offensichtlich, dass Verdi nicht an der Abbildung eines authentischen Ägyptens interessiert war. Verdi schaut mit seiner Musik die ganze Zeit hinter die Fassaden! Dem muss man Rechnung tragen.

Der Blick auf die ägyptische Kultur war zu Verdis Zeit voll von Projektionen. Das Ausgrabungsfieber am Nil war getrieben von kolonialen Eroberungsfantasien und einer Sehnsucht nach vergangener Grösse. Die Pharaonenpaläste und Königsgräber, die da plötzlich aus dem Wüstensand auftauchten, standen vor den Europäern wie eine Stein gewordene Fata Morgana. Eine Orientfantasie des 19. Jahrhunderts.
Gürbaca:
Verdis Ägypten zeigt ein Machtsystem, das in seiner inneren Verfasstheit hohl und erstarrt ist. Es wird dominiert von alten Männern und ist gekennzeichnet durch eine enge Verzahnung von politischer und religiöser Macht. Verdi hat in Aida zum Beispiel viele Rituale komponiert, deren Funktion es ist, das herrschende politische System zu zementieren. Dieses Ägypten agiert nur noch, um seinen Status quo zu erhalten. Es lenkt von seinen Problemen im Inneren ab, indem es Krieg gegen einen äusseren Feind führt.
Grünberg: Man erkennt eine saturierte, in ihren Strukturen festgefahrene Wohlstandsgesellschaft – also etwas, das uns heute sehr vertraut vorkommt. Und es gibt eine junge Generation, die hochbefähigt ist und etwas erreichen will im Leben, in dieser Gesellschaft aber nicht zum Zug kommt. Es ist für sie unmöglich, aus der Statik der Verhältnisse auszubrechen. Sie lebt im Wohlstand der Eltern. Es ist nicht ihre Welt, sondern eine ererbte.
Gürbaca: Gleichzeitig fokussiert das Stück andauernd ferne Fluchtpunkte und Sehnsuchtsorte. Alle wollen weg und woanders hin. Es werden ständig Orte besungen, an denen man gerne wäre. Einmal ist es der Thron an der Sonne, der Radamès Aida errichten will. Dann heisst es wieder: Komm, wir gehen in die Wüste. Die Realität kippt ständig in Wunsch­ und Traumwelten.
Grünberg: Und alle befinden sich in einer merkwürdigen Wartesituation. Die Elterngeneration, repräsentiert durch den König und Ramfis, suggeriert, alles sei erreicht und es fehle an nichts. Aber genau das ist für die junge Generation ein Riesenproblem, weil sie im Grunde gar nicht gebraucht wird. Sie wartet vergeblich auf eine Aufgabe und wird einfach übergangen.
Gürbaca: Die Frauen noch mehr als die Männer. Amneris, die Königstochter, ist auf dem Gipfel ihrer Jugend, ihrer Schönheit und ihrer Fähigkeiten und kann trotzdem nur auf Radamès warten und hoffen, dass er sie zur Frau nimmt. Schrecklich. Aber Radamès nimmt sie nicht.

Die Verschiebung von Traum und Wirklichkeit, die in dem Stück eine grosse Rolle spielt, beginnt gleich mit der ersten Arie. Was passiert mit Radamès im berühmten «Celeste Aida»?
Gürbaca:
Ich habe in den Vorbereitungen oft gedacht, dass das Stück eigentlich Radamès und nicht Aida heissen müsste, weil er am meisten zwischen zwei Welten und divergierenden Wünschen hin und her gerissen ist. In «Celeste Aida» kommt das zum Ausdruck: Er will eine Aufgabe und Erfolg haben und ein Abenteuer bestehen. Zugleich gibt es die Liebe zu dieser Frau, die total realitätsfern ist. Er sieht nicht, dass er mit Aida schon aus gesellschaftlichen Gründen gar nicht zusammen kommen kann. Er singt, dass er ihr einen Thron an der Sonne bauen will. Aber er setzt sie an den falschen Himmel! Verdi hat diesen Realitätsverlust sehr genau komponiert. Die Gesangslinie steigt hoch hinauf, und in der Begleitung folgen ihr flirrend nur die hohen Orchester instrumente. Der Traum hat schon alleine musikalisch überhaupt kein Fundament. Radamès wird als hochempfindsamer, verletzlicher Träumer erkennbar. Man hört in der Musik gewissermassen schon sein schwaches Nervenkostüm durch. Er scheint in Aida auch viel mehr zu suchen als eine Partnerin, die zu ihm passen könnte. Ich vernehme da auch eine Sehnsucht nach etwas Mütterlichem und Beschützendem. Vielleicht sieht er in ihr auch eine Art afrikanische Urgöttin, der er einen Thron im Himmel bauen will.

Ausgerechnet die vermeintlich prächtigste und ausstattungssüchtigste Verdi­-Oper erzählt immerzu von höchst fragilen und komplizierten Seelenlagen.
Grünberg:
Genau. Verdi fährt auf den ersten Blick einen riesigen Repräsentationsapparat auf, der dann aber überraschend viel Freiraum lässt, auf die Rückseite zu schauen und zu beobachten, was in den privaten Räumen dahinter statt­findet.
Gürbaca: Das ist schon im Vorspiel angelegt in dem intimen Ton, der da angeschlagen wird und den sehr zarten Linien. Ich finde es auch bezeichnend, dass Verdi in Aida zwar für den ganz grossen Chor schreibt, aber vieles davon nur hinter der Bühne erklingen lässt. Es gibt ja eigentlich nur zwei wirklich grosse Chormomente: Das ist einmal die «Guerra, Guerra»-­Szene im ersten Akt, in der alle in den Krieg wollen und dem zukünftigen Sieger zujubeln. Und dann eben im zweiten Akt die Triumphszene, die jeder kennt.

Ich finde, die «Guerra»­-Szene erzählt viel über den (Anti-­)Realismus in Verdis Opern. Bis sie losbricht, ist das Stück immer nah dran an den Figuren. Amneris, Aida und Radamès besingen im Terzett ihre unterschiedlichen Liebeshoffnungen. Und dann schlägt wie aus dem Nichts die Stimmung um. Plötzlich steht ein riesiger Chor auf der Bühne, peitscht sich hoch in frenetische Kriegslust und Jubel hysterie, und ehe man sich versieht, ist die emotionalisierte Masse auch schon wieder verschwunden, und wir erleben etwas ganz anderes – die Einsamkeit von Aidas «Numi Pietà»­ Arie. Das wirkt sehr surreal.
Grünberg:
Wenn die ganz grossen Momente kommen, ist der Umschlag bei Verdi oft so abrupt, dass man das Gefühl hat, da kann gar kein realistischer Szenenwechsel gemeint sein. Das sind Bilder, die nebeneinander stehen oder ineinander geblendet sind. Man fragt sich in Aida immer wieder: Was ist hier eigentlich real? Radamès wird feierlich zum Feldherrn gekürt. Schnitt. Plötzlich ist der Krieg vorbei, und alle warten auf die Rückkehr des Siegers. Sehr merk­würdig.
Gürbaca: Für mich ist ganz klar, dass Verdi, würde er heute leben, Filmregisseur wäre. Er komponiert ständig Gegenschnitte, Kamerafahrten, Close­-ups und Zooms. Auch in der Triumphszene gibt es so einen Moment: Alle singen, der Chor, die Solisten, und plötzlich hören sie auf, und es gibt diese ausgedehnte Solokadenz von Aida. Man weiss gar nicht: Warum singt sie das? Zu wem singt sie das? Hört das jemand?

Verdi changiert permanent zwischen äusserer und innerer Wirklichkeit.
Gürbaca:
Das ist über Verdi hinaus auch etwas Urromantisches. Das Stück hat ja unverkennbare Parallelen zu Tristan und Isolde. Die Paare steigen, indem sie in den Tod gehen, aus einer Gesellschaft aus, die für die freie grosse Liebe keinen Raum lässt.

Was ist beim Cineasten Verdi dann die richtige Kameraeinstellung für den Triumphmarsch, ist es die Totale?
Gürbaca:
Die erlebt man ja in vielen Inszenierungen. Aber ich finde, es ergibt wenig Sinn, die Musik szenisch zu verdoppeln und genau das zu zeigen, was man hört. Ich über­lasse es gerne der Fantasie des Zuschauers, sich das auszumalen, was nicht gezeigt wird. Und deshalb wollten wir auch in der Triumphszene nahe heran an die Figuren. Mich hat die Frage interessiert: In welcher Verfassung kommt Radamès zurück, und wie geht es ihm mit diesem Sieg?

Hat man denn eine Chance nahe heran zu kommen an die Figuren, wenn 120 Chorsänger auf der Bühne stehen? Macht die schiere Masse an Priestern, Sklaven und Volk nicht jede differenzierte Regie unmöglich?
Gürbaca:
Überhaupt nicht. Es ist zunächst einmal ein grossartiger Kontrast: Den Figuren steht Öffentlichkeit gegenüber. Wenn Masse anwesend ist, erzeugt die auch einen enormen Druck, das finde ich bei Verdi immer hochspannend. Der Einzelne steht in einem Kontext und wird dadurch definiert.

Und wie geht es nun Radamès mit diesem Sieg?
Grünberg:
Er kommt aus dem Krieg als ein anderer zurück. Das unterscheidet ihn von allen anderen Ägyptern. Der Krieg, der weit weg ist und in der Oper gar nicht stattfindet, hat nichts verändert oder politisch bewirkt. Mir kommt er seltsam folgenlos vor.
Gürbaca: Ich glaube doch, dass er grosse Veränderung hervorruft. Die ist im Triumphmarsch nur noch nicht sichtbar. Da ist noch alles, wie es erwartet wurde. Die Schlacht ist gewonnen, Radamès kehrt als Gewinner zurück und wird Amneris heiraten. Die Rechnung von Ramfis scheint aufzugehen. Aber dann kommen ja noch zwei Akte, in denen sich zeigt: Mit einer gewissen Verzögerung hat der Krieg eben doch alles verändert. Mir kommt das vor wie bei einem schweren Seebeben, wenn sich die Katastrophe erst einmal zurückzieht, bevor sie mit voller Wucht anbrandet.

Ist die finale Grabkammer als realer Ort zu verstehen?
Gürbaca:
Sie ist der Punkt, auf den am Ende alles zuläuft. Sie stellt einen Gegenentwurf zur existierenden Gesellschaft dar. Die Musik gewinnt plötzlich eine unglaubliche Ruhe und Weite, es werden ganz grosse Bögen gespannt. Ich habe das Gefühl, dass die Figuren dann endlich befreit sind. Ich höre da kein qualvolles Ersticken, sondern Tod und Verklärung zugleich.

Man wundert sich, dass in Aida alles so resignativ auf den Tod zuläuft. Da ist nichts mehr zu spüren von der gesellschaftskritischen Auflehnung, die Verdis frühere Opern geprägt hat.
Gürbaca:
Das stimmt. Wahrscheinlich ist Aida die passivste Hauptfigur der Operngeschichte überhaupt. Erst ihr Vater Amonasro bringt sie mit seinem Auftritt dazu, zumindest für einen vorübergehenden Moment etwas für sich zu erreichen.
Grünberg: Die Resignation ist auch bei Radamès und Amneris zu spüren. Sie haben sich in das System gefügt und versuchen gar nicht erst auszubrechen. Das macht die Oper aus meiner Sicht unheimlich aktuell. Denn dieses Gefühl, dass es unmöglich geworden ist, die Verhältnisse grundsätzlich in Frage zu stellen, kennen wir doch alle sehr gut.

Aidas Passivität ist dem Umstand geschuldet, dass sie in einem fremden Land lebt. Erzählt Aida von kultureller Entwurzelung?
Gürbaca:
Ich denke, es geht um das Fremdsein in der Welt überhaupt, denn wahrscheinlich würde sich Aida auch in ihrer äthiopischen Heimat nicht mehr zu Hause fühlen. Wir wissen ja nicht, wie lange sie schon in Ägypten lebt. Aber bestimmte Anzeichen deuten darauf hin, dass sie schon sehr lange dort ist. Wenn Amneris sagt, sie sei ihr wie eine Schwester oder eine Freundin, möchte ich dem erst einmal Glauben schenken. Aida hängt zwischen allen Welten, wie wir das in der modernen Welt auch andauernd erfahren. Wir leben in einer Zeit, in der der Begriff der kulturellen Identität immer komplizierter wird. Die Globalisierung bringt es mit sich, dass wir unser Leben nicht mehr an dem Ort verbringen, an dem wir geboren wurden. Ich begegne ständig Leuten, die von irgendwo kommen und Partner von woanders finden. Meine Erfahrung ist, dass sich Identität im Leben permanent weiter entwickelt und nicht festlegbar ist. Und die Probleme unter den Menschen beginnen, wenn man Identität zu fixieren versucht und sagt: Hey, du bist doch Ausländer! Du gehörst doch gar nicht in dieses Land. Ich kann Aida durch meine eigene Biografie sehr gut verstehen, denn ich wurde in Deutschland geboren, meine Eltern jedoch stammen beide nicht aus Deutschland. Da gibt es zum Beispiel am Ende der «Guerra­-Szene» bei «Ritorna vincitor» den Moment, in dem Aida mitjubelt und gleich hinterher über das erschrickt, was sie da aus dem Moment heraus mit Überzeugung gesagt hat. Für wen bin ich eigentlich? Da erfährt man viel über Identitätsbrüche. Ich finde, Aidas Gefühlslagen sind total modern.


Ein Text von Claus Spahn.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 16, Februar 2014.
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Pressestimmen

«Die Vereinzelung der Figuren spiegelt sich da in der Partitur, und die Musikerinnen und Musiker der Philharmonia Zürich nutzen ihre Soli nicht nur für Schauläufe, sondern für ergreifende Porträts prekärer Seelenzustände»Tages Anzeiger vom 04. März 2014

Fotogalerie

 

Szenenbilder «Aida»


Wie machen Sie das, Herr Bogatu?


Spannung muss sein

Ein Blick hinter die Kulissen und in die Welt der Bühnentechnik von «Aida». Der technische Direktor am Opernhaus Zürich, Sebastian Bogatu, gibt Auskunft über statische und ästhetische Anforderungen, transparente Wände und Tüll, der oft als Albtraum der Technik gilt.

Das Bühnenbild von Aida hat es in sich. Zunächst einmal statisch: Der gesamte vordere Teil der Spielfläche schwebt scheinbar schwerelos über einem grossen schwarzen Loch. Da auf dieser Fläche auch der Chor spielen wird, musste unsere Projektleiterin Marina Nordsiek eine stabile, schnell aufbaubare, grösstenteils frei tragende Stahlkonstruktion entwerfen, die das Gewicht der über 100 Mitwirkenden tragen kann. Schwerelos ist diese Fläche allerdings nicht: Unsere Schlosser haben anderthalb Tonnen Stahl zu filigranen Stahlträgern verarbeitet, die sich mittels speziellen Verbindern schnell aufbauen lassen und anschliessend mit Holztafeln bedeckt werden.

Zu den statischen Anforderungen kamen die ästhetischen: Der Boden soll gemäss Bühnenbildner Klaus Grünberg eine vergrösserte Holzmaserung haben, die von Holztafel zu Holztafel identisch ist – wie ein Druck. Die Theatermaler haben dazu ein Siebdruckverfahren angewendet: In der Grösse der Holztafeln bespannten sie einen Rahmen mit einem Netz. Darauf verschlossen sie einen Bereich des Netzes mit einem Füllstoff. Nun bemalten sie die Bodenplatten mit einer hellen Holzfarbe und legten den Rahmen anschliessend mit dem Netz auf die Platten. Zuletzt sprühten die Maler einen dunkleren Farbton über das Netz: Der undurchlässige Bereich hat dabei in der Form der Maserung die Platte abgedeckt, und das von Platte zu Platte identisch.

Eine noch grössere Herausforderung waren die Wände des Bühnenbildes: Von einer Szene zur nächsten sollten diese plötzlich transparent und dann wieder undurchsichtig werden. Schalldurchlässig und dazu noch leicht mussten sie sein: Deshalb bestehen sie aus Tüll – einem sehr leichten Gewebe, das undurchsichtig ist, wenn von vorne Licht darauf fällt, durch das man aber hindurchsehen kann, wenn dahinter Licht ist. Diese Tülls sind mit Wandflächen, Fenstern und Türen bemalt. Tülls sind aber auch oft der Albtraum der Technik: Der Stoff hängt zuweilen in Falten, die Aussenkanten hängen lose herab – wie ein ungeglättetes Seidentuch. Damit das nicht passiert, hat unser Bühnenmeister Peter Unger in den Holztafeln vom Boden Elektromagnete ein­bauen lassen, mit denen ein dünnes Eisenrohr, das in die Unterseite der Tülls eingenäht ist, am Boden festgehalten wird. Damit kann auf Kommando der Magnet abgeschaltet und der Tüll nach oben weggefahren werden.

So spannen wir die Tülls bis zum Ende des Stückes – denn dann kommt das theatertechnische Finale, das ich nun ausnahmsweise einmal nicht verrate. Schauen Sie es sich an, es ist recht spektakulär.


Text von Sebastian Bogatu.
Illustration von Anita Allemann.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 16, Februar 2014.
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Die geniale Stelle


Der liebende Krieger

Ein Akkord in Giuseppe Verdis «Aida»

Kein Zweifel: Aida gehört zu den beliebtesten Opern Verdis, aber die Spezialisten zeigen sich immer wieder irritiert von der vermeintlichen Zwiespältigkeit in der Dramaturgie des Werkes, das fast in zwei einander ausschliessende Teile zu zerfallen scheint: In eine repräsentative Festoper mit Triumphmarsch, Ballett und exotischem Kulissenzauber einerseits und ein psychologisch subtiles Kammerspiel auf der anderen Seite. Immer wieder hat man versucht, diesen dramaturgischen Bruch dadurch zu «heilen», indem man sich bei Inszenierungen für eine der beiden Seiten entschied, und hat so auf zwei verschiedenen Wegen (wenn auch oft mit beeindruckenden Ergebnissen) den Kern der Sache verfehlt.

Denn dieses Auseinanderklaffen der Ebenen hat unmittelbar mit dem Thema des Stücks zu tun. Wie konsequent Verdi das Disparate der Dramaturgie bis in feinste Details seiner Komposition hinein realisierte, lässt sich stellvertretend für viele andere Stellen an einem bemerkenswerten Detail in der ersten Szene der Oper zeigen: Radames hofft, zum Heerführer im Krieg gegen die aufständischen Äthiopier ernannt zu werden, weil er glaubt, nach dem Sieg vom Pharao die Erlaubnis zu erlangen, die äthiopische Kriegsgefangene Aida zu heiraten, die er leidenschaftlich liebt. Charakteristisch für das Rezitativ, in dem er von diesen Hoffnungen spricht, ist der grelle Kontrast zwischen schmetternden Passagen der Blechbläser (wenn vom erhofften Kriegsruhm die Rede ist) und weichen Klängen der Streicher (wenn es um das erhoffte Liebesglück geht). Dieser Kontrast wird zusätzlich betont, indem die Einsätze der Blechbläser stets mit unorganisch wirkenden Ausweichungen in die Mediante einhergehen, und so den harmonischen Verlauf ständig destabilisieren. So erwartet man nach Radames’ letzten Worten einen Abschluss in Des-­Dur, wird aber durch eine schmetternde Fanfare in F-­Dur irritiert.

Den Übergang von diesem martialischen Ton zum sanften Klang der folgenden Romanze schafft nun ein be­merkenswerter Instrumentationseffekt: Mit dem letzten Akkord der Blechbläser treten auch Holzbläser hinzu, die der Hörer allerdings erst wahrnimmt, wenn Trompeten und Posaunen nicht mehr spielen, während die Holzbläser ihren Akkord weiter aushalten. Der Effekt ist eine radikale Veränderung des Klangs: Die Musik des Kriegers enthüllt sich plötzlich als die des Liebenden, eine Wirkung, die noch einmal verstärkt wird, wenn der Klang der Holzbläser fast unmerklich in einen einzelnen Ton übergeht, den die ersten Violinen in höchster Lage spielen. Es ist, als würde der Akkord der Blechbläser im Verhallen sein eigentliches Wesen zu erkennen geben, als wären die Hoffnungen auf Kriegsruhm und Liebesglück untrennbar miteinander verbunden.

Die häufig geäusserte, allerdings umstrittene Auffassung, dass Stellen wie diese den Einfluss der Instrumentation des Lohengrin zeigen, verkennt über der oberflächlichen Ähnlichkeit den fundamentalen Unterschied. Denn Verdi strebt hier keine wagnerische Verschmelzung der Klangfarben an. Vielmehr bleiben die verschiedenen klanglichen Sphären deutlich getrennt. Erst wenn die Blechbläser schweigen, treten die Holzbläser hervor und überlassen nach und nach den Violinen das Feld. Das Zusammenfliessen der Klänge des Krieges und der Liebe ist eine Illusion, die schon nach kurzer Zeit entlarvt wird, und dieser Vorgang führt ins dramaturgische und inhaltliche Zentrum des Werkes: Indem Radames dieser Illusion nachjagt und versucht, seine gesellschaftliche Funktion und seinen persönlichen Glücksanspruch zu vereinen, führt er die Katastrophe herbei. Denn die Kluft ist nicht zu überwinden. Und es ist eben diese Kluft zwischen dem Menschlichen und dem Politischen, die sich in der Brüchigkeit der Dramaturgie des Werkes widerspiegelt. Das Disparate dieser Dramaturgie zeigt, dass der Konflikt in der Welt, die das Stück zeigt, nicht lösbar ist, dass der Krieger kein liebender Mensch sein darf und dass der, der trotz allem versucht, sein Glück zu realisieren, vom Räderwerk der Politik zermalmt wird.

Selbstverständlich ist die Welt, die Verdi hier zeigt, nicht das Alte Ägypten (mit dessen Realitäten die Oper ohnehin so gut wie nichts zu tun hat), sondern die, in der Verdi lebte, und es zeugt von der Kraft seines dramatischen Entwurfs, dass wir diese Beschreibung auch 150 Jahre nach der Uraufführung noch als ganz gegenwärtig empfinden.


Text von Werner Hintze.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 29, Mai 2015.
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Programmbuch

Aida

Aida

Synopsis

Aida

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Aida