A Midsummer Night's Dream
Benjamin Britten (1913-1976)
Oper in drei Akten
Libretto nach William Shakespeare von Benjamin Britten und Peter Pears
In englischer Sprache mit deutscher Übertitelung. Dauer ca. 3 Std. 15 Min. inkl. Pausen nach dem 1. Teil nach ca. 50 Min. und nach dem 2. Teil nach ca. 2 Std.
Mit freundlicher Unterstützung der Freunde der Oper Zürich
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Interview
Rainer, der Sommernachtstraum gehört zu den Dauerbrennern des Theaterbetriebs. Shakespeares Text wurde schon in allen erdenklichen Variationen auf die Bühne gebracht. Wie gehst du als Regisseur mit diesem Klassiker um?
Den Sommernachtstraum zu inszenieren ist wirklich eine Herausforderung für sich! Man hat von diesem Stück so viele Bilder im Kopf, die aber nicht die eigenen sind. Sich durch diesen Wust durchzuwühlen, oder ihn zu «vergessen», sich davon zu distanzieren, weil man eine eigene Lösung finden muss, ist die erste Schwierigkeit. Dazu kommt für mich, dass wir nicht das Shakespeare-Stück, sondern die Oper von Benjamin Britten machen, die zwar einen lustvollen, aber für meinen Geschmack etwas naiven Blick auf Shakespeares Text hat. Brittens Oper wurde 1960 uraufgeführt. Nur wenige Jahre später hat der polnische Literaturwissenschaftler Jan Kott in seinem Shakespeare-Buch das Abgründige in Shakespeares Stücken akzentuiert und damit die neuere Shakespeare-Rezeption massgeblich beeinflusst. Diese Entwicklung weg von einem romantisch-feenhaften Bild des Sommernachtstraums fehlt Brittens Oper in gewisser Weise noch. In der Arbeit mit dem Internationalen Opernstudio merke ich jetzt aber, dass sich mein Verhältnis zu dem Stück noch einmal verändert hat und dass ich einen Umgang mit Brittens Blick auf Shakespeare gefunden habe.
Was hat Britten aus dem Shakespeare-Stoff gemacht?
Er hat den originalen Text mit wenigen Änderungen, allerdings mit einigen Umstellungen und vielen Kürzungen vertont. Der erste Akt aus Shakespeares Stück fehlt bei Britten fast komplett. Dadurch entsteht eine gewisse Asymmetrie. Die Welt rund um das Athener Herrscherpaar Theseus und Hippolyta spielt in der Oper eine sehr untergeordnete Rolle. Dafür beginnt Brittens Version direkt im Wald – dem Ort, in dem im Sommernachtstraum alles Wesentliche passiert. Die Welt der Elfen, die in diesem Wald herrschen, nimmt deshalb auch viel mehr Raum ein.
Diese Elfenwelt steht schon bei Henry Purcell im Zentrum, der sich in The Fairy Queen ebenfalls mit dem Sommernachtstraum auseinandergesetzt hat. Britten verehrte Purcell, der zu den wenigen bedeutenden britischen Opernkomponisten vor seiner Zeit zählt. Inwiefern knüpfte er selbst an diese Tradition an?
Deutlich erkennen kann man diesen Bezug sicher daran, dass Britten die Partie des Feenkönigs Oberon für einen Countertenor komponierte. In den 1960er-Jahren war dieses Stimmfach noch völlig unüblich und wurde gerade erst wiederentdeckt. Die Feenkönigin Tytania ist bei Britten ein Koloratursopran. In gewisser Weise geht auch mein Inszenierungsansatz von diesem Paar aus: Wir bringen sie als Theaterfiguren aus der Barockzeit auf die Bühne, als Primo Uomo und Primadonna sozusagen. Tytania und Oberon erfüllen den Gestus der Barockoper auch in musikalischer Hinsicht. Zu Beginn des Stücks sind sie im Streit miteinander. Sie singen ein Duett, das sich aber eher wie zwei gleichzeitig gesungene Arien anhört. Sie hören sich gegenseitig nicht zu. Es geht um die grossen Gesten.
Worüber streiten Tytania und Oberon?
Interessanterweise beschreiben die beiden den Zustand der Natur. Diese spielt völlig verrückt: die Jahreszeiten sind durcheinander und die Landschaften überschwemmt oder vertrocknet. Eigentlich ist das ein gefundenes Fressen für jeden Regisseur von heute! Man ist durchaus geneigt, den Wald im Zustand einer Klimakatastrophe zu zeigen… Aber das Durcheinander in der Natur liegt bei Shakespeare natürlich im Streit begründet, den Tytania und Oberon miteinander haben. Es geht um einen Ehekrach, um Eifersucht, Neid – um gewisse Folgen einer komplexen Liebesbeziehung, könnte man sagen, und das ist ja das eigentliche Thema fast aller Figuren in diesem Stück.
Alle Figuren des Sommernachtstraums treffen in diesem aufgewühlten Wald aufeinander. Wofür steht diese Situation?
Der Wald ist der Ort, an dem die gesetzlichen und moralischen Regeln der Zivilisation ausser Kraft gesetzt sind. Damit ist er ein Ort der ungeahnten Möglichkeiten. Und das natürlich erst recht in der Mittsommernacht, in der das Begehren die Menschen in der Hand hat. Wenn an diesem Ort unterschiedliche Figuren aufeinandertreffen und sich in verschiedenen Konstellationen verlieben, geht es also immer auch um ein Spiel mit Identitäten, mit verschiedenen Rollen. Und welcher Ort steht noch mehr für dieses Spiel als ein Wald? Die Theaterbühne...
… «Die ganze Welt ist eine Bühne, und Schauspieler nur die Frauen und Männer», wie es in Shakespeares As You Like It heisst …
… wir kommen nicht umhin, diesen berühmten Satz zu zitieren. Der Sommernachtstraum ist voller Anspielungen auf das Theater an sich, und der Wald gleicht tatsächlich einer Bühne. Das hat mich und mein Inszenierungsteam schliesslich dazu bewogen, ihn auch als solche zu zeigen.
Eine wichtige Mittlerfigur in diesem Spiel ist Puck, der zu Oberons Reich gehört. In Brittens Oper ist er schon deshalb eine besondere Figur, weil er nicht singt, sondern spricht ...
… und weil er als einzige Hauptfigur keine eigene Liebesgeschichte hat! Das macht ihn zu einer Art Narrenfigur, die ausserhalb steht. Er ist Oberon zwar untertan, befindet sich aber auch im Streit mit ihm. Puck irrt sich und macht Fehler, wenn er durch einen Zaubersaft die falschen Liebespaare zusammenbringt. Aber für mich hat er auch die Weisheit eines Narren, der schon viel erlebt hat. Ich wollte ihn deshalb nicht als quirligen Luftgeist auf die Bühne bringen, wie Britten das gemacht hat. In der Uraufführung wurde Puck von einem Jungen gespielt, und die Musik, die Britten komponierte, klingt auch sehr lebendig. Aber die Musik illustriert für mich nicht die Figur, sondern eher den Schabernack und den Witz, den Puck im Kopf hat. Der Narr ist ja nicht langsam im Denken! Szenisch wollte ich dieser Musik eine ältere, knorrige, sehr geerdete Figur entgegensetzen, und wir freuen uns sehr, dass wir den Schauspieler Gottfried Breitfuss dafür gewinnen konnten.
Wer verirrt sich nun eigentlich in diesen Wald, beziehungsweise auf diese Bühne, die in deiner Inszenierung die Situation bestimmt?
Das sind zum einen vier junge Leute: Hermia, die Lysander liebt, aber laut dem Willen ihres Vaters Demetrius heiraten soll. Und Helena, die Demetrius liebt, aber von ihm nicht geliebt wird. Das ist eine typische Konstellation, wie man sie aus der Opera seria kennt. Der Konflikt ist schon deshalb vorprogrammiert, weil die Liebesbeziehungen nicht symmetrisch sind. Ich finde es bezeichnend, dass diese vier Menschen sehr jung sind. Ihre Konflikte sind intensiv, existenziell, und die Wechsel zwischen den Partnern sind sehr kurzlebig. Es wird auch gerne gesagt, dass diese vier Liebenden nah an einer Tragödie vorbeischlittern. In den Szenen, die sich im Wald abspielen und von Oberon und Puck beobachtet und gesteuert werden, fallen schlimme Beleidigungen, es ist von Hass und Mord die Rede. Erst der Schlaf, in den am Ende der Nacht alle fallen, erlöst die vier wieder von diesem Emotionswahnsinn.
Dann gibt es noch eine weitere Gruppe...
Das sind sechs Handwerker, also einfache Menschen, die keine Ahnung von Theater haben, aber aus irgendwelchen Gründen eine grosse Leidenschaft dafür. Sie ziehen sich in den Wald zurück, um dort anlässlich der Hochzeit von Theseus und Hippolyta ein Theaterstück zu proben. Als Zuschauer erlebt man die Entstehung dieses Stücks von der Rollenverteilung über die Proben bis zur Aufführung mit. Dabei werden auf unterhaltsame Weise auch ästhetische Fragen diskutiert: Was bedeutet es, eine Rolle zu spielen? Fürchten sich die Damen im Publikum vor dem Löwen? Muss man ihnen vorher erklären, dass auch dieser nur von einem Schauspieler dargestellt wird?... Irgendwann, nachdem auch die Handwerker nicht von Oberons und Pucks Spiel verschont geblieben sind – der Handwerker Nick Bottom wird in einen Esel verwandelt und erlebt eine wilde Nacht mit der Elfenkönigin Tytania –, einigen sich die Handwerker auf ihre Interpretation, und in der Aufführung ihres Stücks ist noch einmal alles ganz anders...
Was sagt der Sommernachtstraum eigentlich über die Liebe aus? Jan Kott sagt etwa, die vier Liebenden seien «völlig auswechselbar», in der Szene zwischen Tytania und dem Esel betont er die «animalische Erotik»...
Ich glaube, dass Shakespeare hier zeigen will, dass man Liebe nicht rational begründen kann und dass sie auch nicht immer ein Ziel hat. Theseus und Hippolyta, um deren Hochzeit sich das ganze Stück ja eigentlich dreht, verkörpern sozusagen die Gegenseite. Bei ihrem Auftritt, der bei Britten erst im letzten Akt erfolgt, ist die Nacht vorüber, der Traum verloschen und alle Paare sind wieder fein säuberlich sortiert. Aber Shakespeare lässt das Stück ja nicht mit dieser Szene enden. Wie ein grosser Fremdkörper wird genau an dieser Stelle die «tragische Komödie von Pyramus und Thisbe» aufgeführt. Also noch ein Liebespaar. Und das ist natürlich kein Zufall. Was im Wald passiert ist, ist in diesem Moment nicht einfach abgeschlossen. Die Ordnung ist nur vordergründig wiederhergestellt. Die Liebeswirren der Nacht klingen hingegen in dem Stück nach, das die Handwerker aufführen. Statt einem glücklichen Ende erzählt Shakespeare dort die Geschichte von zwei unglücklich Liebenden, die sich, wie Romeo und Julia, beide das Leben nehmen.
Das Stück, das in deiner Inszenierung ohnehin auf einer Theaterbühne spielt, zeigt also schliesslich auch noch eine Theaterbühne. Wie wird das alles aussehen?
Wir wollten nicht nur den leeren Raum zeigen und haben uns deshalb für einen Vorhang als Bühnenelement entschieden, der bei uns dank einer komplexen Mechanik sehr vielseitig eingesetzt und bespielt werden kann. Die verschiedenen Figurengruppen, die bei Shakespeare auch unterschiedliche Sprachstile und bei Britten verschiedene Klangwelten haben, sind in unserer Inszenierung auch ästhetisch von verschiedenen Spiel- und Kostüm- bzw. Kleidungsstilen geprägt, die wir aus dem Theater kennen. Oberon und Tytania – die hier übrigens nicht von Elfenkindern, sondern von einer Schar weiblicher Bediensteten begleitet wird – sind auch optisch von der Welt der barocken Oper inspiriert. Die sechs Handwerker sind Bühnentechniker, die im Theater arbeiten. Und die vier Liebenden sowie das Herrscherpaar Theseus und Hippolyta sind Darstellerinnen und Darsteller von heute. Die Schauspieler sind ja auch zu Shakespeares Zeit in zeitgenössischen Kleidern aufgetreten. Das wiederum hat uns dazu inspiriert, das «Pyramus und Thisbe»-Stück, das die Handwerker aufführen, als Puppenspiel zu zeigen, das ästhetisch eine Reverenz an das Zeitalter Shakespeares ist. Die Form des Puppentheaters unterstreicht ausserdem noch einmal den ganzen Aspekt des Spiels, den Shakespeare in diesem Stück so stark betont: Als Zuschauer sieht man beim Puppenspiel immer den Vorgang des Puppenspiels – und vergisst diesen zugleich, wenn man sich ganz der Illusion der belebten Puppe hingibt.
Fotograf Michael Sieber hat die theaterbegeisterten Handwerker auf der Probebühne in Szene gesetzt. Das ganze Bild ist im MAG 111 abgedruckt.
Das Gespräch führte Fabio Dietsche.
Dieser Artikel ist erschienen im MAG 111, Mai 2024.
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Probeneinblicke mit Duncan Ward
Wir haben mit Duncan Ward, dem Dirigenten der diesjährigen Opernstudio-Produktion am Theater Winterthur, gesprochen und in eine Orchesterprobe reingehört.
Auf dem Pult
Benjamin Britten versteht es in dieser Oper meisterhaft, einen Mischmasch von musikalischen Stilen zu einem geschlossenen Ganzen zu verbinden. Analog zu den verschiedenen Handlungsebenen in Shakespeares Stück hat er sehr verschiedene Klangwelten komponiert. Die Elfenwelt ist mit dem Countertenor Oberon und dem Cembalo von Henry Purcell inspiriert. Zugleich hört man hier, dass Britten sich für Gamelan-Musik begeisterte, die er auf einer Reise nach Bali gehört hatte. Ganz anders klingt die Welt der sechs Handwerker: Ihre humorvollen Szenen gestaltet Britten durch Anleihen bei der Folk- und der sogenannten Barber-shop-Musik, also der acapella-Vokalmusik in harmonisch enger Lage, die in den USA sehr in Mode war, wo Britten während des Zweiten Weltkriegs im Exil lebte. Die Szene, in der die Handwerker das Stück «Pyramus und Thisbe» aufführen, hat Britten wiederum als Parodie auf die italienische Oper des 19. Jahrhunderts geschrieben. Auch die vier Liebenden oder Puck haben ganz eigene Klangwelten. Absolut magisch und unvergesslich finde ich aber den Beginn der Oper: Britten schreibt dort eine Reihe von Streicherakkorden, die durch Glissandi miteinander verbunden sind, das heisst, die Streicher gleiten von Akkord zu Akkord. Britten verbindet dort nur Dur-Akkorde, die aber weit voneinander entfernt sind, ganz zu Beginn etwa G-Dur und Fis-Dur. Britten war Zeit seines Lebens von solchen Tonarten, die sich «beissen», fasziniert. Dieser zarte Beginn der Oper, der die mysteriöse Stimmung im mittsommerlichen Wald beschreibt, führt durch fast alle zwölf Töne der chromatischen Skala. Hier zeigt sich, dass Britten auch Schönbergs Zwölftonmusik studiert hat. Er macht daraus aber etwas ganz Eigenes und bleibt dem tonalen System immer verbunden.
—Duncan Ward